Natalia, ein Mädchen aus der Taiga
schnupperte wie ein Hund, als Tassburg die Flasche entkorkte. »Gehört so etwas eigentlich zur Normalausrüstung eines Geologentrupps? Wenn Sie ja sagen, dann hänge ich Lenins Bild wieder auf!«
»Man muß auch etwas Eigeninitiative entwickeln«, antwortete Tassburg und goß die Gläser voll. Es war ein rubinroter Wein, der ein wenig nach Muskat roch. Dr. Plachunin schnalzte mit der Zunge.
»Haben Sie das gehört?« fragte er lachend. »Das kann ich nur, wenn mir das Wasser im Mund zusammenläuft.« Er hob das Glas gegen das zuckende Herdfeuer. »Auf Ihr Organisationstalent!«
»Auf Alexander oder Taissja …«, antwortete Tassburg und hob sein Glas gleichfalls dem Feuer entgegen. Dr. Plachunin musterte ihn verblüfft über den Rand seines Glases.
»Wer ist denn das? Michail Sofronowitsch, auf wen trinken Sie da?«
»Auf einen Jungen oder ein Mädchen! So oder so wird unser Kind heißen.«
»Unser – was?« fragte Dr. Plachunin erschrocken. »Natalia ist doch nicht etwa …«
»Sie ist, Ostap Germanowitsch!«
»Warum haben Sie mich nicht gebeten, Sie vorher zu kastrieren?« versetzte Dr. Plachunin grob. »Welche Idiotie! Welch ein Wahnsinn! Ein Kind! In dieser Situation!«
»Wir lieben uns …«
»Ich weiß, ich weiß! Wie sich noch nie zwei Menschen geliebt haben! Immer die alte Leier, die abgedroschene Melodie! Das ist die billigste Entschuldigung, wenn so etwas passiert ist!«
»Den Mond anklagen hat jetzt doch keinen Sinn mehr, Doktor!«
»Den Mond nicht, aber eure Dummheit!« Plachunin kippte erregt das Glas voll herrlichem Wein in sich wie Wasser – ein Zeichen, wie er sich aufregte. Denn sonst hätte er diesen Roten aus Samarkand geschlürft und auf der Zunge zergehen lassen. »Michail Sofronowitsch, wie alt sind Sie eigentlich? Anfang Dreißig, nicht wahr? War Natalia Ihre erste Frau? Sind Sie ein Neuling auf diesem Gebiet? Oder sind Sie so völlig besessen – ach was, was rede ich da!«
»Höchstwahrscheinlich haben Sie nie geliebt, Dr. Plachunin!«
»Mehr als Sie denken! Und wissen Sie, wen? Immer riesengroße Frauen! Ihre Gesichter waren für mich immer da, wo die Sonne ist! Und Sie werden es nicht glauben, ich liebte diese Frauen sogar! Im Bett gleichen sich Größenunterschiede aus … da versagt die mathematische Logik! Nur am nächsten Morgen wurde es kritisch … da mußten die Frauen das seltsame Gefühl gehabt haben, aber lassen wir das! Es waren jedenfalls immer einmalige Erlebnisse! Aber wozu erzähle ich Ihnen das? Ach ja – ich hätte nie geliebt! Stellen Sie sich vor, ich hätte diese Riesenfrauen jedesmal geschwängert! Aber Sie, in einer ausweglosen Situation, was Natalia betrifft, Sie sind so rücksichtslos, so egoistisch, alle Vernunft zu vergessen!«
Tassburg schüttete Plachunins Glas wieder voll. Er saß neben ihm am flackernden Holzfeuer, und es war sehr heiß im Raum, obgleich draußen der Frost die Holzhäuser mit einer Eisschicht überzog. Er hatte die Beine gegen die dicken Steine gestemmt, aus denen der Ofen gemauert war, und er blickte in die Flammen.
»Sie haben nun einen ganzen Haufen zusammengeredet, Ostap Germanowitsch«, sagte er nach einer Pause, »aber kein einziges konstruktives Wort!«
»Konstruktiv! Ich möchte Sie in den Hintern treten, Michail Sofronowitsch!« Plachunin trank wieder einen Schluck Wein. »Soll ich das Kind entfernen?«
»Nie! Sie müßten denn vorher Natalia erschlagen.«
»Kein vernünftiger medizinischer Vorschlag. Sie will also das Kind zur Welt bringen?«
»Ja.«
»Hier? Allein?«
»Darüber wollte ich mit Ihnen reden, Dr. Plachunin.«
»Halt!« Der Arzt hob beide Hände. »Um etwas vorweg zu nehmen: Ich bleibe nicht in diesem elenden Dorf! Sobald ich fahren kann oder per Hubschrauber abgeholt werden kann, geht es los! Glauben Sie, ich setze mich acht Monate vor Ihre Natalia und warte auf das Kind wie eine Katze vor dem Mauseloch?«
»Sie haben ordinäre Vergleiche, Doktor!«
»Wir sollten uns nun ernsthaft überlegen, wie wir Natalia ganz offiziell auftauchen lassen, damit sie mit mir nach Batkit gehen kann.«
»Auch das will sie nicht.«
»Was will sie denn?«
»Bei mir bleiben. Ganz gleich, wohin ich auch ziehe.«
»Und das Kind zur Welt bringen wie eine Wölfin?«
»So ähnlich! Vielleicht können das die sibirischen Frauen …«
»Sie können es, verlassen Sie sich darauf! Sie stemmen die Füße gegen einen Baumstamm, beißen auf einen Ast, um nicht zu schreien, pressen, und schon ist das Kind da! Und eine
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