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Natascha

Natascha

Titel: Natascha Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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In ihrem Zimmer brutzelte der Ofen, es war mollig warm. Unter ihrem Bett lagen die Holzscheite für eine Woche. Ein Abschiedsgeschenk Lukas.
    »Was heißt weg?« rief Högönö. »Wer hat es ihm erlaubt …?«
    »Niemand! Man hat ihm nur erlaubt, ab morgen nicht mehr hier zu sein!«
    »Er kann doch nicht einfach weggehen!«
    »Warum kann er das nicht! Ist er ein freier Sowjetbürger, Genosse?«
    Ulan Högönö knöpfte sich den Hemdkragen zu. »Wo ist er hin, Genossin?«
    »Ich weiß es nicht. Bestimmt nicht! Fragen Sie einen wilden Schwan, wohin er fliegt – würde er reden?«
    »Er kann nicht weit sein! Mit einem Gipsbein geht's sich nicht gut, und vor allem fällt man auf!«
    »Sie wollen Luka fangen wie einen wilden Wolf?« Natascha sah Högönö mit einem solchen Haß an, daß er bleich wurde und sich gegen die Tür lehnte. »Es mag eine andere Zeit gekommen sein, Genosse Ulan«, sagte sie hart. »Aber die Jahre in den Sümpfen sind noch in uns, und der Mut ist noch da und die Kraft, zu rächen! Sie trauen es mir nicht zu, Genosse, aber ich schwöre Ihnen: Wenn Luka ein Leid geschieht, müßten Sie auf den Mond vor mir flüchten! Ich fände Sie, Ulan Högönö … und wenn ich keine Waffe mehr habe, beiße ich Ihnen die Gurgel durch –«
    »Sie sind das schrecklichste Weib, das ich kenne«, sagte Högönö heiser vor ehrlichem Entsetzen. »Sie haben Himmel und Hölle in sich … Es ist unbegreiflich –«
    Dann lief er in sein Zimmer und meldete ein dringendes Gespräch nach Moskau an. Für Waleri Tumanow und das Ministerium des Inneren.
    Luka fand in der Nacht noch eine feine Unterkunft.
    Auf dem Güterbahnhof Saratows war's, einem Gewirr von vielen Gleisen und langen, dunklen Zügen, mit dicken Holzstämmen beladen.
    »Das sind die falschen Züge, mein Freund!« sagte Luka zu sich. Holz kommt aus der Taiga und aus Sibirien und wird nach dem Westen gefahren. Dagegen rollen die leeren Waggons nach Osten. Auch Maschinen, Traktoren und Wagen mit Sträflingen haben die gleiche Richtung. Man hat also eine Auswahl auf solch einem Güterbahnhof, wenn man weiß, in welche Richtung man fahren will.
    Luka schlich sich durch die schwarzen Reihen der Waggons und musterte die Ladungen. Etwas abseits sah er patrouillierende Posten mit Gewehren und aufgepflanzten Bajonetten. Sie umkreisten einen Zug mit geschlossenen Viehwagen, aus deren Dächern es träge rauchte.
    Gefangene, dachte Luka. Deutsche oder auch Russen. Aus dem Weg muß man ihnen gehen. Es kann sein, daß jemand auf der Fahrt gestorben ist und die Zahl nicht mehr stimmt, die auf den Listen steht. Dann wird man einfach eingeladen, heißt plötzlich Boris Malachow und muß fünf Jahre in das Bergwerk. Und keiner glaubt, daß man Luka heißt und nicht Boris Malachow. Eine amtliche Liste stimmt immer! Schlimm ist so etwas, denn man kann sich nicht dagegen wehren.
    Nach langem Suchen entschied sich Luka für einen kleinen Zug, der Traktoren geladen hatte. Die Lokomotive stand schon davor, und sie zeigte nach Osten. Ächzend kletterte er in einen der Wagen und sah, daß neben den Traktoren noch lange Holzkisten auf dem Boden standen, gefüllt mit Kurbelwellen und Maschinenteilen.
    »Glück muß ein Mensch haben!« sagte Luka, brach eine Kiste auf und lud die Maschinenteile neben dem Traktor auf den eisernen Wagenboden. Dann legte er sich selbst in die weiche, warme Holzwolle, schob den Kistendeckel über sich und ließ nur einen Spalt auf, um frische Luft einzuatmen.
    Zufrieden schlief er ein, die Hände gefaltet; wie eine Leiche lag er da, unter der man das weiße Laken vergessen hatte.
    Er wachte auf, als der Zug anruckte und in den dämmernden Morgen hineinfuhr. Die Türme und Hausdächer von Saratow glitten an ihm vorüber … es donnerte dumpf unter ihm, als sie die Wolga überquerten und hineinbrausten in die verschneite Steppe. Der Wind heulte um ihn herum und trieb den Schnee gegen den Traktor, aber Luka kümmerte es nicht. Er lag warm in seiner Holzwollkiste und dachte daran, daß in zwei Stunden Natascha die Koffer packen und mit dem Nachtschnellzug nach Irkutsk fahren würde.
    Fast einen ganzen Tag war er ihr voraus, das machte ihn glücklich. Zwar wußte er nicht, ob sein Güterzug auch nach Irkutsk rollte, aber das war unwichtig. Man konnte umsteigen.
    Mit dem Schnellzug brauchte Natascha nur zwei Tage, um nach Irkutsk zu kommen. Ulan Högönö hatte ein ganzes Abteil für sie reservieren lassen, und sogar eine kleine Küche reiste mit, ein zweiflammiger

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