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Natascha

Natascha

Titel: Natascha Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Leichnam nieder und faltete die Hände. »Gott nehme ihn auf und verzeih mir diese Tat«, betete Luka. Dann betrachtete er den toten Högönö. Ein lebender Mensch ist schnell verscheucht, aber ein toter Mensch ist eine Last, dachte er. Man hat ihn da und muß dafür sorgen, daß er irgendwo hinkommt, wo er bis zum jüngsten Tag warten kann. Man kann ihn nicht einfach liegenlassen; das gehört sich nicht!
    Nach einigem Suchen fand Luka einen schönen Ort. In der Uferböschung waren einige Höhlen ausgewaschen. Sie waren nicht tief, gerade so flach und lang, daß ein Mensch darin ruhen konnte.
    Sieh an, dachte Luka, das ist das richtige.
    Zwei Stunden arbeitete er hart. Er legte den Toten in die Höhle, hackte mit einer Eishacke die großen Fluß- und Seesteine aus dem Eis und wälzte sie vor den Eingang. In mehreren Lagen türmte er die Steine hoch, bis keine Ritze mehr zu sehen war. Dann holte er aus einem der Fischlöcher Wasser und goß es über die Steine. Es gefror sofort und bildete eine glatte Schicht.
    Zufrieden betrachtete Luka sein Werk. Was wird's in den nächsten Stunden geben, dachte er. Suchen wird man ihn und fluchen auf die Tataren und Mongolen … besser wird's sein, sich in den nächsten Tagen still und abseits zu halten.
    Er kehrte zu dem Haus der Fischer zurück und setzte sich brummend an den gehobelten Tisch. »Einen Wodka hab' ich mir verdient, Brüderchen«, sagte er. »Neunzehn Löcher habe ich geschlagen … eigentlich sind's zwanzig, aber das letzte Loch war ein taubes. Und vier Rubelchen, Genossen? Gebt mir fünf, und ich bin euer Bruder –«
    Die Fischer sahen sich stumm an. Neunzehn Löcher überzeugen immer. Sie musterten den Riesen, und der Klügste unter ihnen rechnete still, was ein solches Riesentier wohl am Tage fressen mußte, um es satt zu kriegen. Schließlich kam er mit sich klar: Je mehr Löcher er schlägt, um so mehr können wir Fische fangen. Wenn er den Fang von zwei Löchern allein auffrißt, bleibt immer noch genug für uns, um von einem Gewinn zu sprechen.
    »Du bist ein brauchbarer Genosse«, sagte der Rechner. »Gut denn – fünf Rubel die Woche! Aber zwanzig Löcher sind Bedingung!«
    »Das Eis des ganzen Sees hacke ich euch auf, wenn ich bleiben kann!« schrie Luka. Zur Bekräftigung hieb er mit beiden Fäusten auf den Tisch. Es war ein wenig zu stark, der Tisch brach zusammen, und die Beine knickten weg. Verwundert betrachtete Luka die hölzernen Trümmer.
    »Glaubt mir, es war ein alter Tisch«, sagte er begütigend zu den anderen. »Morsch war er in den Füßen –«
    Dann ging er ins Bett. Mit langen Gesichtern saßen die Fischer um den zerbrochenen Tisch. Sie hatten Angst, und bei jedem Schnarchlaut Lukas zuckten sie zusammen, als habe man sie in den Nacken geschlagen.
    Wie vorauszusehen war – es gab in Khuzhir eine große Aufregung. Das plötzliche Verschwinden Ulan Högönös von einem Spaziergang war rätselhaft und alarmierte die Geheimpolizei in Irkutsk. Mit drei grünen Wagen kam sie nach Khuzhir und verhörte alles, was Högönö gekannt hatte.
    »Ersoffen wird er sein!« sagte der Kommissar, nachdem er den Weg abgegangen war, den Högönö zur Erbauung jeden Tag gegangen war. »Ganz klar, Genossen! Er sah auf dem Eis die Löcher und dachte: Ei, sieh einmal nach, was das ist! Und so kam er an ein Loch, sah die Fischchen im Wasser, beugte sich tiefer, verlor das Gleichgewicht, der Pelz zog ihn vollends hinab … Ohne Frage, Genossen, so war's! Man sollte mit Stangen suchen …«
    Einem Kommissar aus Irkutsk, zumal wenn er von der Geheimpolizei ist, soll man nicht widersprechen. Es ist sinnlos, Freunde, denn sie haben immer recht.
    Die Fischer suchten also mit Stangen in den Löchern. Sogar Luka suchte mit. Am Ende des Tages gab man es auf und versammelte sich frierend im Parteihaus von Khuzhir. Unter dem großen Bild Stalins, das die halbe Wand einnahm, unterschrieb der Kommissar das Protokoll, ehe er es vorlas.
    Es besagte, daß Ulan Högönö infolge eines Unglücksfalles nicht mehr lebte. Es bestände die Hoffnung, im Frühjahr, beim Auftauen der Eisfläche, den Körper irgendwo am Ufer des Sees zu finden. Die Fischer unterschrieben als Zeugen, auch Luka, der noch einen Klecks auf das Blatt machte.
    Zwei Tage später traf aus Moskau Waleri Tumanow ein. Natascha holte ihn vom Bahnhof in Togot ab. Mit einem Pferdeschlitten war sie gekommen, in einen dicken Wolfspelz gehüllt, die langen, schwarzen Haare und den schmalen Kopf in einer hohen Pelzmütze

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