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Natascha

Natascha

Titel: Natascha Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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eine junge Katze.«
    »Warum erzählen Sie mir das, Ulan?« fragte Natascha. Sie sah auf das Schloß, das langsam näher kam.
    »Nur so, Natascha Tschugunowa. Ein kleiner Blick in das Temperament der Leute hier.« Er nahm einen tiefen Schluck aus dem Glas. »Auch ich wurde in der Nähe geboren –«
    Elf Tage brauchte Luka, bis er in Khuzhir war. Eine beschwerliche Reise, gewiß, immer in zugigen Güterwagen, immer kreuz und quer durch die Steppe, bis es gelang, nach Togot zu kommen, wo die Züge endeten. Dreimal hatte er einbrechen müssen, um seinen Hunger zu stillen, und er wählte dazu stets die Wohnungen der Bahnhofsvorsteher. Dort fand er immer etwas Fettes, denn so ein Vorstand hat viele Freunde und viele Möglichkeiten, und das gegenseitige Händewaschen gehörte zum guten und alltäglichen Ton.
    Nun war Luka in Khuzhir, hatte das Schloß umkreist und eine Unterkunft in der Stadt gefunden. Sogar eine Arbeit hatte man ihm angetragen, kaum, daß er darum bat.
    »Du bist ein lieber Mensch!« sagte der Mann, bei dem Luka ein Bett gefunden hatte. »Ich will nicht wissen, woher du kommst, obwohl ich dazu verpflichtet bin, dich anzuzeigen. Kannst ein entflohener Sträfling sein, doch was kümmert's mich?! Gebrauchen können wir solch einen Bullen wie dich, mein Freund. Fischer sind wir alle hier, und wir sprengen das Eis auf dem See, um an die Lieblinge heranzukommen. Doch bevor man sprengt, muß man Löcher hacken, in die das Dynamit kommt. Das kannst du tun, Brüderchen. Löcher hacken in das Eis. Es gibt auch die Woche vier Rubel dafür.«
    Luka war's einverstanden. Ein Bett, ein gutes Essen und vier Rubelchen, das ließ sich sehen.
    Und so bekam er eine Hacke, spitz geschliffen, und einen Pelz und zog mit den Eisfischern hinaus auf den Baikalsee. Er hackte neunzehn Löcher, mehr als die anderen in zwei Tagen schafften, und ging dann zurück nach Khuzhir, um sich einen Schnaps zu holen.
    An einer einsamen Uferstelle, in der Nähe des Schlosses, in dem Natascha wohnen mußte, standen sie sich plötzlich gegenüber. Der eine tauchte über die Böschung auf, der andere trat zwischen den Bäumen hervor. Sie starrten sich an, wie verwurzelt mit dem Eis unter ihren Füßen, und in ihren Augen stand eine Feindschaft, die keine Worte mehr erklären konnten.
    »Ulan Högönö –«, sagte Luka leise. Er stützte sich auf seine Eishacke und leckte sich über die Lippen.
    »Luka –«
    Högönö griff unter seinen dicken Pelz und zog einen großen, krummen mongolischen Dolch hervor.
    »Willst du ein Schweinchen stechen?« fragte Luka freundlich.
    Durch Högönö lief eine heiße Welle. Er ist die einzige Bindung, die Natascha an die alte Welt hält, dachte er. Mit diesem Riesenaffen wird die Vergangenheit fallen, und die Zukunft wird nackt sein, und ich werde sie bekleiden mit Gold und Edelsteinen. Natascha wird mein Wesen sein, meine singende Puppe, und mit ihrer Stimme wird mein Ruhm über alle Grenzen gehen. Der Ruhm des kleinen Mongolenjungen Ulan, der vor dreißig Jahren die Rinder durch die Steppe trieb.
    »Jetzt sind wir allein, Luka«, sagte Högönö zwischen den Zähnen.
    »Ganz allein, Brüderchen«, nickte Luka. »Nur frag ich mich, was du mit dem krummen Eisen in deiner Hand willst …«
    »Ein Idiot bin ich eigentlich«, sagte Ulan Högönö. »Dem NKWD sollte ich dich melden und liquidieren lassen. Statt dessen stehe ich hier, als wolle ich eine Kerbe in einen dicken Stamm schnitzen …«
    Ulan Högönös Augen waren eng, schmal und fast unsichtbar unter den zusammengekniffenen Lidern. Plötzlich tat er etwas, und Luka trat einen Schritt zur Seite, weil er es längst erwartet hatte. Ulan schnellte vor, der krumme mongolische Dolch blitzte durch die kalte Luft, mit ausgestrecktem Arm stieß er im Sprung gegen Luka und fiel auf die Knie und Brust, als der Hieb ins Leere ging.
    »Du bist ein tapferer Mensch, Ulan«, sagte Luka fast bedauernd. »Es ist schade um dich.«
    Dann nahm er die Eishacke, und ohne Schwierigkeit hieb er Högönö ein großes Loch in den Hinterkopf, aus dem mit dem Blut das Hirn hervorquoll. Högönö seufzte laut und sank zusammen, der krumme Dolch bohrte sich in den verharschten Schnee, als sei er eine große Fläche weißen, weichen Fleisches. So lag er da, der Mongole, im Sterben noch in den Leib der Erde stechend.
    »Ein armer Mensch«, sagte Luka und legte die Hacke zur Seite. Aus dem Gefühl heraus, etwas zu tun, was eine Ehre für den Gegner sein mochte, kniete er sich neben dem

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