Natascha
Kolonne zu. Ehe es einer der jungen Soldaten verhindern konnte, hatte er Nikitin gepackt, aus der Kolonne gerissen, trug den schlaffen Körper des Alten zum Waldrand und setzte ihn auf den Baumstamm.
»Kolonne halt! Halt!« brüllten die Wachsoldaten. Sie stürzten Luka nach, mit entsicherten Gewehren.
»Wo ist sie? Schnell? Wo ist mein Täubchen?!« zischte Luka, als er Nikitin auf den Stamm setzte. »Ich drehe dir den Kopf wie eine Schraube 'rum, wenn du nicht –«
»Weg ist sie. Plötzlich. Aus dem Lager weg! In der Küche war sie. In die Wälder muß sie hineingegangen sein … oder in die Sümpfe, weiß ich's! Aber sie ließ dich grüßen, ehe sie verschwand …«
Die Soldaten waren heran, rissen Luka herum, hoben die Gewehrkolben. Er grinste sie einfältig an, schüttelte den Kopf, schob sie zur Seite und ging zurück zu seiner Holzfällerkolonne. Der alte Nikitin sah ihm nach, ganz rot vor Aufregung war sein Kopf geworden.
»Auf Wiedersehen, Luka!« rief er ihm nach. Er ließ sich von den Soldaten zurück zur Kolonne führen und reihte sich wieder ein.
In die Sümpfe, dachte Luka. In die Sümpfe. Dann hieb er auf die Stämme ein, als wolle er aus hundertjährigen Stämmen Streichhölzer spalten.
In die Sümpfe … Nie hatte er daran gedacht –
Mit Luka war der Teufel im Bunde. So wenigstens dachten die anderen Gefangenen. Nicht mehr verstehen konnten sie ihn, das starke, aber blöde Brüderchen Luka. Alle waren sich einig, sowenig wie möglich zu tun, den Deutschen nicht zu helfen, den Winter zu überleben. Nein, sabotieren wollte man. Das hatte man genau besprochen, in der Nacht, von Lager zu Lager flüsternd.
Aber was machte Luka? Er sabotierte die Sabotage! Ein Schwein ist er, sagte man im Lager. Fürs Essen verkauft er Mütterchen Rußland! Aber andererseits, wenn man alles genau durchdachte, mußte man sagen: Seltsam war's doch, diese plötzliche Wandlung des Luka. Während die anderen Stämme fällten, deren Mark bereits zerfressen war, während sie zwischen die Stämme beim Hüttenbau Faulpilze legten, damit eines Tages das Holz morsch wurde und unter der Eigenlast zusammenbrach, was tat da Luka? Er meldete sich freiwillig für alles, was zu tun war.
Und zu Essen bekam er, job twojemadj! Jeden Tag schleppte er ein Säckchen weg, und keiner sah je, wo er es auffraß, der geizige Hund! Nicht ein Körnchen, nicht ein Margarineklümpchen, nicht ein Streifchen Brot, nicht ein paar Krümelchen Tee teilte er, der Schuft! Wenn er nicht so stark wäre und so wild wie ein kaukasischer Bär, würde man ihn längst verprügelt haben. So aber sah man ihn nur scheel an, machte einen Bogen um ihn, wie um einen Aussätzigen, und sagte von Baracke zu Baracke weiter: Luka verrät die Nation! Er paktiert mit den Deutschen! Er ist eben doch ein vollendeter Idiot!
Luka ließ sie reden und flüstern und scheel gucken. Was wißt ihr alle, was Luka machen wird, dachte er, wenn er mit einer neuen Sonderration für gute Arbeit aus der Kommandantur kam. Er aß sie nicht gleich auf, sondern er versteckte sie, an einem geheimen, sicheren Ort. Dort, wo niemand etwas Eßbares suchte, selbst nicht der größte Schnüffler. In einer Blechkiste versteckte er alles, und diese Blechkiste war in einem Hang vergraben, direkt unter der Latrine. Gibt's etwas Sicheres als das, Brüderchen?
Nach zwei Wochen war das Kistchen voll. Zwieback lag darin, Tee, zwei Fleischbüchsen, eine Schmalzdose, eine Flasche Rum, ein ganzes Brot, etwas angeschimmelt, aber Schimmel schadet nichts, zwei Dosen Marmelade, zwei zusammengeknetete Blöcke Margarine, zwanzig Scheiben harte Dauerwurst … ein Schlaraffenland in einer Blechkiste.
Einen Sack besorgte sich Luka, steckte die Blechkiste hinein und packte ein Beil, zwei Zangen und einige Bohrer darüber. Vorher hatte er sich für ein gefürchtetes Kommando gemeldet: Das Sprengen von besonders dicken Stämmen, die man sonst in tagelanger Arbeit durchsägen konnte. Dreimal kam das Kommando mit einigen Toten zurück ins Lager, weil die Ladungen zu früh losgegangen waren oder weil die Bäume mitten in die Gruppe gefallen waren.
Nun hatte sich Luka freiwillig gemeldet. Seht an, sagte man im Lager. Schon wieder der Luka! Aber diesmal wird's ihn erwischen! Als er mit seinem Sack voller Werkzeug – wer ahnte, daß unten im prallen Sack die Blechkiste lag? – durch das Lager ging und zum Tor hinaus, standen die anderen am Drahtzaun und grinsten ihm nach.
»Grüß mir die Engelchen!« schrie ihm
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