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Natascha

Natascha

Titel: Natascha Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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den Stamm, etwa einen halben Meter lang und zwanzig Zentimeter tief, füllte diese Höhlung mit Reisig und kleinen Holzstückchen und steckte sie an. Diesen Ofen schob er unter das Blätterdach und legte sich vor das glimmende, rauchende Feuerchen. Schön warm war's, empfand er. Kein Windchen wehte, nur der Schnee rieselte lautlos aus dem grauschwarzen Nachthimmel und baute ein dickes weißes Dach auf die warme Zweighütte.
    Zufrieden schlief Luka ein.
    Vier Tage irrte Natascha Astachowa durch Wald und Steppe. Schlafen tat sie unter dichten Büschen, einmal sogar wie eine Wildkatze hoch oben auf einem Baum, in den dicken Zweigen liegend, Schulter und Hüfte in eine Astgabelung eingeklemmt.
    Von diesem Baum aus sah sie die deutschen Truppen verstreut im Lande liegen. Werkstätten, Zelte, Wagenmassierungen, Panzer, Krankensammelstellen, Gefangenentrupps, Infanteriekompanien, die zerstörte Dörfer wieder als Quartiere herrichteten. Über die Straßen rasten die Motorradmelder und kleine, hüpfende Geländewagen. Dann waren es wieder lange Transporte mit Lastwagen, Munitionskisten, Granaten, Verpflegung, neue Soldaten, mit neuen Uniformen und Milchgesichtern unter den Stahlhelmen.
    Wo kommen sie alle her? dachte Natascha auf ihrem Baum. Ist Deutschland so groß, daß es so viel Männer ausspucken kann? Von Leningrad bis zum Asowschen Meer stehen sie, eine Wand aus Feuer und Tod, die weiterrollt über Mütterchen Rußland und die größer und breiter wird und stärker und unbesiegbarer. Wo kommen sie bloß alle her, aus diesem kleinen Deutschland?! Werden dort die Männer gezüchtet wie Sonnenblumen oder Champignons?
    Am fünften Tag ging es nicht mehr weiter. Zu müde war sie, die kleine Natascha, zu verhungert, zu einsam in dieser grauen deutschen Woge. Zu essen hatte sie nichts als Wurzeln, die sie roh kaute. In die Felder schlich sie nachts und rieb die Ähren zwischen ihren Händen aus, kaute die Getreidekörner und ließ sie im Magen aufquellen, indem sie in den Bächen Wasser trank, das sie mit den hohlen Händen herausschöpfte. Doch alles dies reichte nicht, die Kräfte zu erhalten, die sie Tag für Tag in langen Stunden aus sich weglief. Am fünften Tage brach Natascha zusammen. Nicht aufhalten konnte sie es, sie knickte einfach zusammen, mit grenzenloser Verwunderung in den Augen. Auf dem Rücken lag sie, sah hinein in den Herbsthimmel, sah die Vögel in den Zweigen turnen und sogar einen Bussard stille Kreise über den Feldern ziehen. Wolken trieben vorüber wie träge Schiffe mit zerfetzten Segeln, und dann wurde der Himmel rot, die Unendlichkeit blutete auf die Erde hinab, bis Gott einen Purpurmantel nahm und die Sonne verdeckte.
    Die Nacht kam.
    Zum Sterben hatte sich Natascha vorbereitet. Nie hatte sie geglaubt, daß es so leicht sei, sehend und wissend zu sterben. Ein einfaches Einschlafen war's, weiter nichts. Eine große Schwäche, eine selige Stille in und um einen … so gleichgültig war alles geworden, so unwichtig, so fern bereits von menschlichem Empfinden. Glücklich machte es, zu wissen: Jetzt geht es weg von dieser schrecklichen Erde. Und Gedanken waren plötzlich da, komische, dumme, nicht bisher gedachte Gedanken: Du wirst Fedja wiedersehen, und Mütterchen wirst du sehen und Väterchen Nikolai. Wie schön das ist. Alle werden wir wieder beisammen sein, wie damals in Krassnoje Mowona.
    Dann schlief sie ein, und sie dachte, es wäre der Tod.
    So fanden sie Washa Krepychew und der bucklige Nikolai. Sie zogen durch die Wälder wie gehetzte Wölfe, mit Maschinenpistolen, bekleidet mit deutschen und russischen Uniformstücken, und wo sie einzelne deutsche Soldaten trafen, da schossen sie sie nieder, raubten die Brotbeutel aus, nahmen die Waffen mit und zogen den Toten die Uniformen aus. In den Sümpfen des Pripjet warteten vierhundert versteckte Bauern und versprengte Soldaten auf Waffen und Kleidung. Jede Nacht schwärmten sie aus wie Riesenhornissen und stachen in den deutschen Leib hinein.
    Die ›sowjetische Freiheitsfront‹ nannten sie sich. Die Deutschen sagten ›Partisanen‹ zu ihnen und erschossen jeden, den sie fingen. Iwan Kotelnikow, ein Kapitän aus dem 2. Regiment der Armee Timoschenkos, führte die Gruppe in den Sümpfen. Auf Ordnung hielt er, der Genosse Kapitän! Mitten im Sumpf, auf großen Inseln, deren Zuwege nur wenige Bauern kannten und deren Knüppeldämme einen halben Meter unter der schwappenden Oberfläche lagen, bildete er die Partisanen aus. Wie auf dem Kasernenhof

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