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Natascha

Natascha

Titel: Natascha Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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tat sie immer, jeden Mittag, wenn sie mit den anderen Küchengefangenen die großen Essenkessel in das Lager schleppte und die verhungerten, ausgehöhlten, erdbraunen Gestalten zu den Verteilerstellen krochen und zitternd ihre Gefäße emporstreckten.
    »Wer kennt Fedja Iwanowitsch Astachow?« fragte sie jeden, bevor er seinen Löffel Kapustasuppe bekam. »Leutnant Astachow? Nein? Warum kennt ihr ihn nicht, ihr Läuse?! So viele Männer, und keiner hat ihn je gesehen?! Fedja Iwanowitsch Astachow, du Idiot?! Nein?!«
    In der zweiten Woche nach ihrer Gesundung traf sie endlich einen Bekannten. Der alte Gennadi Wassilijewitsch Nikitin war's, der heimliche Pope, der sie getraut hatte. Damals, in der Datscha von Väterchen Tschugunow, in der Ecke, in der sonst das Stalinbild hing.
    »Gennadi Wassilijewitsch! Väterchen!« schrie Natascha glücklich, als sie den Alten in der langen Reihe der Essenholer bemerkte. Sie lief zu ihm hin, zog den schwankenden Popen aus dem Gewühl und zerrte ihn in eine Kuhle, die sich die Gefangenen mit den Händen in den Boden gewühlt hatten. Auf die Erde drückte sie den alten Nikitin, setzte sich zu ihm und umklammerte die welke Hand des Alten.
    »Gennadi Wassilijewitsch, was machst du hier?« fragte sie. »Hat man dich auch gefangen? Kommst du aus Krassnoje Mowona? Hast du etwas gehört von Luka? Hast du Nachrichten von Fedja?!«
    Der alte Nikitin senkte den Kopf. Schlimm ist's, ihr das sagen zu müssen, empfand er. Selbst ein Pope hat's schwer, so etwas zu berichten. Man weiß, wie die jungen Weiblein sind. Gleich schreien sie, raufen sich die Haare aus, benehmen sich wie irre Füchse, und einen Zweck hat's doch nicht!
    »Tja, Täubchen«, sagte der alte Nikitin vorsichtig. »Luka, den hab' ich wohl gesehen –«
    »Wo war er? Erzähle, Väterchen! Wo Luka war, war auch Fedja nicht weit!«
    »Ich traf ihn, den riesigen Idioten, in einem Lager bei Jassjenj. Dauernd hatte er Krach mit den Wachmännern. Kohlköpfe hat er gestohlen, der Bär! Und roh gefressen! Fünf Mann waren nötig, ihn zu verprügeln. Am Ende lagen sie alle im Revier. Luka und die fünf Deutschen. So einer ist er!«
    »Und Fedja? Was erzählte er von Fedja …«
    »Tja, der Fedja Iwanowitsch. Ein guter Leutnant war's. Immer vorneweg … keine Angst hatte er, der Fedja! Er war ein Vorbild, sicherlich …« Nikitin sah von unten her zu Natascha. Er sah, daß sie begriff. Ihr kleines Gesicht war wie Stein. Sie hat's geahnt, dachte Nikitin, und fast war er zufrieden, daß es so still abging. Er legte seine welken Hände auf Nataschas Haar und streichelte es unbeholfen.
    »Gleich zu Anfang war's, mein Täubchen … schon in der ersten Schlacht … Luka war dabei … mit einem Spaten haben sie Fedja erschlagen, mittendurch gespalten den schönen Kopf … Er war gleich tot. Luka hat ihn begraben.«
    Natascha nickte. Sie sah hinüber zu den langen Reihen der Essenholer, die sich an den dampfenden Kesseln vorbeischoben. Eine Schlange aus Elend und schreiendem Hunger. Aber sie lebten, und Fedja war tot, erschlagen mit einem Spaten, so wie man einen tollwütigen Fuchs erschlägt, wenn er um das Haus torkelt.
    Aber gut war's, daß sie es jetzt wußte. In der Ungewißheit zu leben ist etwas Schreckliches. Nie ist man frei, immer wartet man und lernt den Glauben an das Wunder. Aber nun war alles klar. Sie war allein, nie würde Fedja wiederkommen und sie auf seinen starken Armen tragen. Nie würde er stolz neben ihr durch die Straßen gehen, im Blick den Triumph: Seht, Brüderchen … das ist meine schöne Frau! So glücklich bin ich! Jawohl! Und einen Sohn werde ich haben, wartet nur ab! Staunen werdet ihr! Unser Leben beginnt ja erst.
    Und es hörte auf, ehe es begonnen hatte …
    »Krieg ist, Töchterchen«, sagte Gennadi Wassilijewitsch Nikitin und schlug heimlich das Kreuz über ihrem gesenkten Kopf. »Du bist nicht allein, der etwas verliert. Tausende Frauen weinen jetzt … weißt du, woher das Wasser der großen russischen Flüsse kommt? Es sollen die ewigen Tränen der Mütter sein, die ihre Söhne für Rußland gaben –«
    Natascha stand auf und ließ den redenden Alten stehen. Sie ging zu dem Kessel zurück, nahm einem Gefangenen den Löffel aus der Hand und verteilte weiter die Suppe. Blechnäpfe, Holzbecher, Militärgeschirre, Konservendosen, Teller aus Benzinkanistern … sie sah nicht, was sich ihr entgegenstreckte. Die Kelle tauchte sie in den Kapustabrei, holte sie hervor und schüttete sie aus.
    Am Abend ging

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