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Natascha

Natascha

Titel: Natascha Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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verdunkelte.
    »Wie fühlst du dich? Komm … dai mnje twoje ruku …« (Gib mir deine Hand.)
    Langsam hob sie den Arm … er war so schwer, daß die Muskeln zur Winde wurden, die ihn hochzurrten. Dann spürte sie einen Händedruck, sie wollte ihn erwidern, aber ihre Finger blieben gefühllos und kalt. Nur ein Zittern wurde es statt des Druckes.
    »Gut! Sehr gut!« sagte die Stimme. »Dich hatten sie ja ganz nett zugerichtet, Kleine …«
    Wer ist's, der so spricht? dachte Natascha. Sie hob die Lider, und wieder war's eine schwere Arbeit, wie das Aufklappen verrosteter, eiserner Jalousien.
    Über ihr war ein Kopf. Ein junger, blonder Kopf mit blauen Augen hinter einer goldenen Brille. Ein schmaler Mund lächelte sie an … er hatte nichts Brutales an sich. Nein, sanft geschwungen waren die Lippen, fast wie bei einem Mädchen.
    Sie seufzte und tastete nach ihrem Leib. Eine Hand hielt ihren Arm fest.
    »Ganz ruhig liegen, Mädchen. Oder besser: kleine Frau. Du weißt ja noch gar nicht, was wir machen mußten …«
    Natascha hob ein wenig den Kopf. Sie lag auf einem Strohsack in einem Zimmer. Um sie herum lagen Verwundete und Sterbende. Sie stöhnten und jammerten im Fieber. In Zeltplanen trug man die Toten weg, drehte den Strohsack um und legte neue Verwundete darauf.
    Der blonde Mann trug eine Uniform mit silbernen Schulterstücken. Darüber hatte er einen weißen Mantel gezogen, den er jetzt über der Uniform offen hatte. Ein anderer Soldat mit einer Armbinde des Roten Kreuzes stand zu Füßen ihres Strohsackes.
    »Was ist mit mir?« fragte Natascha. Der Druck in ihrem Leib war fort, aber die Bauchdecke stach. Als sie den Bauch einziehen wollte, merkte sie, daß sie einen Verband trug. Schrecken trat in ihre Augen und ein plötzliches Wissen, das ihr die Luft abwürgte.
    »Ich hätte nicht gedacht, daß ich mitten in Rußland eine gynäkologische Operation machen müßte!« sagte der deutsche Arzt und legte Nataschas Hand zurück. »Tja, mein Mädchen … wir mußten dich aufschneiden. Das Kind war völlig zerquetscht in dir! Noch ein paar Stunden und du wärst an einer Sepsis gestorben! Welche Schweine haben dich denn so zugerichtet?«
    Natascha antwortete nicht. Fedjas Kind, sie haben es genommen, dachte sie. Bollmeyer, ein Feldwebel … ein Ohr habe ich ihm abgebissen, aber was ist ein Ohr gegen Fedjas Kind? Was wird nun sein, wenn Fedja nicht mehr zurückkommt? Nichts habe ich mehr von ihm … kein Kind, kein Stück seines Wesens, nicht einmal ein Bild … nur das Erinnern habe ich, einen Gedanken, der hilflos in der Leere der Welt herumirrt.
    Sie drehte das Gesicht zur Seite. Auch den blonden Kopf konnte sie nicht mehr sehen. Aus dem Entsetzen, aus der Einsamkeit, in die man sie gestoßen hatte, aus der Verzweiflung, nichts mehr zu haben auf der Welt als den eigenen Atem, gebar sie einen Haß, der wild war wie die Schmelzfluten des Don im Frühjahr und unendlich wie der Blick über das Eismeer am Kap Deschnew.
    Sie zwang sich, die deutsche Stimme nicht mehr zu hören. Sie verschloß ihre Ohren mit dem Willen, nur noch zu hassen, was diese Sprache sprach, nur noch zu töten, was diese Uniform trug, nur noch zu leben, um zu hassen, was deutsch war.
    War es diese Kraft, die Natascha gesund werden ließ? Um sie herum war das Sterben selbstverständlich geworden. Die zerfetzten Körper, die man hereintrug, sah sie an mit einer Wonne ohnegleichen. Sterbt, dachte sie bei jedem neuen Transport! Sterbt doch! Fedjas Kind durfte nicht leben, vielleicht lebt er selbst nicht mehr … warum lebt dann noch ihr?
    Nach vier Wochen wurde sie als gesund entlassen. Sie kam zurück in die Küchenscheune und schälte Kartoffeln und putzte Kohlköpfe und schrubbte nach dem Essen die riesigen Kessel blank.
    Ebenso ungerührt, wie sie die Deutschen sterben sah, stand sie am Weg, wenn die Lastwagen die verhungerten Leichen der Gefangenen in die Wälder abtransportierten. Dort waren große Gruben ausgehoben worden … wie Steine wurden die Toten hineingekippt, mit Chlorkalk überschüttet, Schicht um Schicht. Sie hatte es schon einmal gesehen, vor Wochen, als die eigenen Truppen ihre Toten vor dem Rückzug begruben … alles glich sich, alle waren sie gleich … wie ein Wahnsinn war es über alle gekommen. Töten … nur töten, ohne zu fragen, warum es sein mußte.
    Immer hoffte sie, einen Bekannten zu treffen, etwas von Fedja Iwanowitsch zu hören. Alle Gefangenen kamen aus dem Gebiet, in dem auch Fedjas Regiment gelegen hatte. Fragen

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