Natascha
jemand nach. Man lachte grölend, aber Luka drehte sich nicht um. Er packte nur den Sack fester und ging vorgebeugt dem Wald entgegen. Wo seine Beine niederstampften, entstanden große Löcher im Schnee. Der ihm folgende Posten hatte Mühe, mit jedem Schritt aus diesen Einbrüchen herauszukommen. Fast ein Hüpfen war's von Loch zu Loch.
Im Wald waren sie allein. Luka und der einzelne Posten. Mit roter Mennigefarbe waren einige riesige Bäume markiert. Stämme, die der Steppenwind schon schaukelte, als in Deutschland noch die Raubritter in den Büschen seitlich der Handelswege lauerten.
»Hier!« sagte der Posten. »Hast du alles bei dir?«
»Alles!« Luka stellte den Sack in den Schnee. Er sah zu einem der Bäume hinauf, umschritt den dicken Stamm und kratzte sich den Kopf.
»Nun fang schon an!« sagte der deutsche Soldat. »Mit der Faust kriegste das Ding nicht um.« Er lachte. Luka sah ihn fast traurig an. Ein Jüngelchen ist's, dachte er, und warm wurde es um sein Herz. Ganz heiß sogar. So jung ist er, und Väterchen und Mütterchen hat er, die auf ihn warten. Schwer ist's wahrhaftig, zu denken und doch etwas zu tun.
»Na, wird's bald?« rief der Soldat. »Pack dein Werkzeug aus. Drei Dinger müssen wir heute knacken!«
»Sofort, Soldat germanskij …« Luka zerrte den Knoten des Stricks auf, mit dem er den Sack zugebunden hatte. Seine dicken Finger zitterten. Er legte die Bohrer in den Schnee, das Beil, auf die Beilschneide die kleinen, zusammengeschnürten Sprengladungen und die Zündschnüre. »Skolko tebje ljet?« fragte er.
»Was?« Der Soldat trat an Luka heran.
»Wie alt, du?«
»Zwanzig Jahre. Warum? Quatsch nicht. Fang an!«
»Zwanzig Jährchen nur!« Luka schüttelte den Kopf. »Hemmungen hab' ich, verdammt noch mal!« Dann hob er die Schultern, atmete ein paarmal tief auf und legte dem verwundert dreinschauenden Soldaten beide Hände auf die Schultern.
»Aussehen tust du wie ein Engelchen«, keuchte er, dann fuhren seine Hände höher, schnellten zum Hals des Soldaten und preßten sich dagegen wie zwei riesige Schraubzwingen.
Der Soldat schlug mit den Armen um sich. Er ließ das Gewehr fallen, trat um sich, zuckte und röchelte. »Luka!« stöhnte er mit der letzten Luft, die sich durch die Einengung seiner Kehle preßte. »Lukaaaaa –«
Mit geschlossenen Augen drückte Luka zu. Als das Zappeln zwischen seinen Händen aufhörte, hob er, noch immer im Würgegriff, den schlaffen Körper hoch und schleuderte ihn gegen einen Baum. Es krachte in dem toten Körper, die Wirbelsäule zerbrach, dann fiel der Tote in den Schnee, als sei er nur ein Bündel grauer Uniform.
Drei Stunden arbeitete Luka, daß ihm der Schweiß über den ganzen Körper lief. Er hackte aus der steinhart gefrorenen Erde eine Grube, legte den Körper hinein, stampfte sie wieder zu, setzte ein Kreuz auf das Grab und hing die Erkennungsmarke, die er dem Toten vorher vom Hals gezerrt hatte, um den Querbalken des Kreuzes. Dann nahm er das Werkzeug, packte es wieder in den Sack, verschnürte ihn und warf ihn auf den breiten Rücken.
Wie ein einsamer Bär trottete er in den Wald hinein. Nach der blinden Sonne, die durch die Schneewolken glimmerte, nahm er seine Richtung. Nach Süden und dann nach Westen. Dem Pripjet entgegen. Hinein in die Sümpfe. Der Urwelt entgegen.
Irgendwo muß Natascha sein, dachte er dabei. Finden werde ich sie. Ich bin es Fedja schuldig.
Am Abend begann es zu schneien. Die Natur kam Luka zu Hilfe. Sie deckte alle Spuren zu. Wie ein neugeborenes, unberührtes Land lag sie da, die Schneedecke. Nicht ein Fleckchen war zu sehen, nicht die Andeutung eines Schrittes, nicht ein Hauch von Mensch.
»Scheiße!« sagte der Leutnant, der mit sechs Mann und einem Geländewagen in den Wald gefahren war, um zu sehen, wo Luka und der Posten blieben. Das Grab hatten sie gefunden, und es brauchte keine Erklärungen mehr, um zu wissen, was geschehen war. Der Leutnant brach die Erkennungsmarke durch und steckte den einen Teil in die Uniformmanteltasche.
»Wenn wir den kriegen, muß's schon ein Zufall sein! Wer hätte das von dem Luka gedacht?! Auf jeden Fall werden wir alle umliegenden Truppenteile informieren!«
Um diese Zeit lag Luka in einer Waldsenke und wartete auf die Nacht. Aus Zweigen hatte er sich ein Dach geflochten, wie es die Pelztierjäger in der Taiga machen. Über dieses Zweigdach legte er Äste und Moos, das er unter dem Schnee hervorgrub. Dann fällte er einen Baum, schlug mit dem Beil eine Höhlung in
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