Natascha
war er aus ihr hervorgekommen. Und selbst Luka graute es davor.
Im Jahre 1943 war's, im Herbst, als das deutsche Generalkommando Mitte den Beschluß faßte, endgültig mit den Partisanen in den Pripjetsümpfen aufzuräumen.
Der Siegestaumel der Deutschen war verraucht. Stalingrad hatte eine ganze Armee und einen großen Rückzug gekostet, Moskau war nicht erobert worden, Leningrad hielt stand, und in Mittelrußland formierten sich die Roten Armeen zu einer großen Offensive, mit der man die deutschen Bunkerstellungen vom Eismeer bis zum Schwarzen Meer aufreißen wollte. Eine geballte Faust sollte zuschlagen, in die Magengrube der deutschen Front hinein.
In den Sümpfen lebte eine intakte Brigade ausgebildeter Partisanen. Kapitän Kotelnikow befehligte die Nordgruppe, Washa Krepychew, der Natascha einmal das Leben rettete, war zum Oberleutnant befördert worden und zog mit einer Granatwerfergruppe kreuz und quer durch das Moor. Nikolai, der Bucklige, war in deutsche Gefangenschaft geraten, und ein Major aus Moskau war über den Sümpfen abgesprungen, um die Partisanenbrigade zu übernehmen. Kotelnikow maulte zwar, aber er beugte sich dem Befehl aus Moskau. Nicht so Natascha Astachowa. Sie zog mit dem Riesen Luka und ihrer kleinen Gruppe wohl zu dem befohlenen Sammelplatz, aber sie weigerte sich, sich Major Werjowkin zu unterstellen.
»Woher kommt er?« fragte sie Kapitän Kotelnikow. »Aus Moskau? Was hat er dort getan? Warm gegessen und Karten studiert?! Was will er hier?!«
»Ein scharfer Hund ist's, Genossin!« Kapitän Kotelnikow lächelte mokant. »Mit ihm machst du's nicht wie mit mir! Er hat Vollmachten aus Moskau, außerordentliche Vollmachten! Du weißt, was ein Befehl aus Moskau ist? Da gibt es keine Widerreden!«
»Das wird man sehen!«
Major Werjowkin sah erst Luka an, als Natascha mit ihrer Gruppe zu ihm kam. Er kannte Luka nicht, aber gehört hatte er von ihm, dem Urmenschen. Nun sah er ihn, eine Säule von Fleisch, ein Berg wandelnder Kraft, ein Fossil aus versunkenen Zeiten.
Daß so etwas noch lebt, dachte Major Werjowkin erstaunt. Er muß der letzte Ableger eines Sauriers sein! Man sollte ihn ausstellen, statt ihn in den Sümpfen vielleicht totschießen zu lassen.
»Da sind wir, und wir gehen auch gleich wieder«, sagte Natascha Astachowa. Sie musterte Werjowkin. Gut sieht er aus, dachte sie und ärgerte sich, daß sie solches dachte.
»Ich freue mich, die tapfere Genossin Astachowa zu sehen.« Major Werjowkin streckte ihr die Hand entgegen. Widerwillig ergriff sie seine Finger. Gewohnt ist er's, mit Frauen umzugehen. Man merkt's! Aber hier im Sumpf sind keine Dämchen wie in Moskaus Hurenhäusern … sie ließ die Hand schnell wieder los und trat einen Schritt zurück, in den Schatten Lukas, der hinter ihr stand.
»Wir brauchen Munition, Waffen, Verpflegung, Verbände, Medikamente, aber keine Befehle aus Moskau!« sagte Natascha steif. »Wir kämpfen seit fast drei Jahren in den Sümpfen.«
»Ich weiß, Genossin.« Werjowkin sah auf seine schmalen Hände. »Ihr Ruhm ist nach Moskau gekommen. Man nennt Sie ›Die rote Bestie‹, wußten Sie's?! Die Deutschen haben auf Ihren Kopf eine Prämie gesetzt. Dreitausend Mark und vierzehn Tage Heimaturlaub für den, der Sie umbringt. Wir wissen alles in Moskau, Genossin. Die Welt ist klein für unseren Nachrichtenapparat. Und Grüße soll ich Ihnen bestellen von Generalissimus Stalin.«
»Von Stalin?« Luka riß die Augen auf. Er tippte Natascha auf die Schulter, aber es war, als schlage ein normaler Mensch mehrmals zu. »Hörst du, Täubchen … Stalin –«
»Zum Leutnant der Roten Armee hat er Sie befördert, Genossin Astachowa. Ich soll's Ihnen sagen und Sie dazu ernennen. Und die Orden Ihres Mannes Fedja Iwanowitsch dürfen Sie tragen … die Tapferkeitsmedaille, den Orden vom Roten Stern –«
Geradeaus sah Natascha, starr und bleich. Hinter ihr schluckte Luka. Mein kleiner Leutnant, dachte er und kaute an den Haaren, die ihm in den Mund hingen. Den Schädel hat man ihm gespalten, schon bei der ersten Schlacht … und nun hat er den Orden vom Roten Stern. – Stolz muß man auf ihn sein, verdammt noch mal. Und Natascha wird die Orden tragen, der neue Leutnant Natascha Astachowa.
»Ich danke Ihnen, Major«, sagte Natascha leise. »Nur dem Angedenken Fedjas wegen bin ich in den Sümpfen. Ich hasse den Krieg und ich hasse den Tod!«
»Es ist ein vaterländischer Krieg, Genossin!«
»Es ist ein Morden, weiter nichts!«
»Und trotzdem tun
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