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Natascha

Natascha

Titel: Natascha Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Gestalten, die im Zickzacklauf vor dem Tod davonliefen.
    Neben ihr krachten die Zweige, Luka und Gebhardt standen hinter ihr.
    »Kommt!« sagte Natascha. »Hast du ein weißes Tuch, Luka?«
    »Sie achten nicht darauf!« Aber er reichte ihr doch ein weißes Stück Lappen hin. Sie befestigte es am Lauf ihrer Maschinenpistole und hob sie dann hoch über ihren Kopf. So ging sie den beiden voraus, auf die Gruppen zu, die über die Sumpfebene rannten, ihnen direkt entgegen.
    Erst stockten die ersten der dunklen Gestalten … dann knieten sie nieder, und wie auf dem Schießplatz legten sie an und schossen auf Natascha und ihre weiße Fahne.
    »Hunde!« brüllte Luka, als die ersten Schüsse neben Natascha den Schnee aufwirbelten. Sie warf sich sofort seitlich in das Schilf und kroch weiter, zurück in den Wald. »Ilja!« schrie sie dabei. »Komm her, Ilja … bleib bei mir … Ilja …«
    Luka rannte ihrer Stimme nach. Verzweifelt sah sich Gebhardt um. Auch von der anderen Seite rannten dunkle Gestalten auf ihn zu, irgendwo hörte er das schreckliche »Urrrääääh!«, mit dem die sowjetischen Truppen die deutschen Stellungen stürmten. Neue Leuchtkugeln zischten hoch und stellten ihn als einen dünnen dunklen Fleck in die weiße Schneelandschaft. Da warf sich Gebhardt herum, rannte zurück zum Bunker, brach durch das Dickicht und hetzte weiter, hinein in die Nacht, in den Wald, in die weiße Unendlichkeit, die nie eines Menschen Fuß betreten hatte. Hinter sich hörte er Keuchen. Luka und Natascha rannten ihm nach, warfen sich hin, wenn die Leuchtkugeln sie erfaßten, und hetzten weiter, wenn sie hinter den Stämmen versanken.
    Plötzlich war die Erde um sie herum kein fester Boden mehr. Er brach auf, mit einem höllischen Schrei, und schüttete Schnee, gefrorenen Boden und Splitter über sie. »Ilja!« hörte Gebhardt die Stimme Nataschas. Er blieb stehen … sah, wie sie links von ihm, ihn suchend, herumirrte, gefolgt von dem riesigen Schatten Lukas, der an ihr zu kleben schien.
    »Hier, Natascha, hier!« schrie er zurück. Aber ein neuer Einschlag zerriß seine Stimme. Er warf sich hin, robbte in einen Trichter und wartete, bis die neue Salve vorüber war. Dann sprang er wieder aus dem Trichter und lief in die Richtung, in der er Natascha gesehen hatte.
    »Natascha!« brüllte er. »Luka! Natascha!«
    Maschinengewehre knatterten in seinem Rücken … er hörte wieder das »Urrraääh!«, ein neues Geräusch mischte sich dazwischen, Motorendonnern und das Knirschen von Ketten. Panzer, dachte Gebhardt, sie rollen mit Panzern die deutschen Stellungen auf. Mein Gott, wo ist bloß Natascha … wo ist sie hingelaufen?
    »Natascha!« schrie er wieder. »Natascha …«
    Seine Stimme ging unter in den Abschüssen der Panzerkanonen. Da rannte er weiter, warf sich dem Wald entgegen, der vor ihm aufragte, stürzte sich in den tiefen Schnee und wühlte sich ein in das schützende Weiß.
    Über eine Stunde kroch und lief er durch den Wald, bis er zusammenbrach, unter ein vereistes Gebüsch rollte und mit offenem, nach Luft schnappendem Mund wartete, daß man ihn einholte. Er umklammerte den eisigen Griff seines Revolvers und lauschte auf die Laute, die um ihn herum die Nacht füllten.
    Aber es war ein Warten wie in einem leeren Raum. Der Lärm verzog sich. Wie ein donnernder Paukenschlag noch nachtönt und dann verschwingt, so entfernte sich der Krieg von ihm und ließ ihn allein in der verschneiten Einsamkeit.
    Gebhardt richtete sich auf den Knien auf und kroch zu einem Baum. Dort lehnte er sich an und sah hinauf in den Himmel. Er war klar und herrlich in seiner glitzernd bestickten Eisigkeit.
    Ich bin der letzte, dachte Gebhardt. Allein hinter der russischen Linie. Es ist schrecklich, der letzte zu sein. Wer ist einsamer auf dieser Welt als der Überlebende? Der letzte ist toter als tot.
    Die Front schwieg. Manchmal meinte er, Stimmen zu hören. Laute nur. Ein Rufen. Da war es … »Stoij!« schrie jemand. Zweige knackten. Schnee knirschte in der Nähe seines Versteckes. Sie suchten ihn also noch immer.
    Eine helle Stimme – »Dai mnje twoje ruku!« (Gib mir deine Hand.) Gestalten kletterten durch das Gewirr der zerschossenen Bäume. Jemand rutschte aus. Fluchen. »Job twojemadj!«
    Gebhardt lag unter den vereisten Zweigen wie eine gehetzte Maus und atmete in die hohlen Hände hinein. Sein hechelnder Atem, die blaßweißen Wolken, die er ausstieß, konnten ihn verraten. Mit kleinen Handscheinwerfern leuchteten sie durch den Wald.

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