Natascha
kommt auch hierher!«
»Unsere Brüder sind's!« Luka rührte in einem Topf mit Kasch. »Bald werden wir wieder im freien Rußland sein, Schwesterchen … und wir werden hinaufkriechen, die rote Fahne küssen und rufen: Freiheit, Brüder! Freiheit und Frieden!«
»Davor habe ich Angst …«, sagte Natascha leise. Sie war zu Gebhardt getreten und hatte ihn umarmt.
»Angst, Täubchen?« fragte Luka ungläubig.
»Angst vor den Brüdern. – Was werden sie mit Ilja tun?«
Einmal lagen sie nebeneinander an der feuchten Erdwand unter den Decken. Luka war unterwegs. Er wollte die Schlingen nachsehen, die er gelegt hatte. Schneehasen waren aufgetaucht. Keiner hatte es je gehofft, daß sie kommen würden. Aber nun waren sie da, und Luka schluckte einen See von Speichel hinunter, wenn er nur an einen Hasenbraten dachte.
»Du wirst in Rußland bleiben«, sagte Natascha und strich mit den Fingerspitzen über die dicke, aufgequollene Narbe auf Gebhardts Brust. An einer Stelle eiterte sie noch. »Wenn der Krieg über uns hinweggezogen ist, werde ich dich mitnehmen nach Krassnoje Mowona. Niemand wird dir etwas tun, ich verspreche es dir. Und dann werden wir heiraten und die Datscha wieder aufbauen, und Luka wird bei uns sein, und es wird ein herrliches Leben sein. Du kennst es nicht, Ilja … vor uns ist die Steppe, und gleich hinter dem Haus beginnt der Wald. So weit du siehst, ist nur Himmel und Feld … und wenn du da stehst und die Arme ausbreitest, weißt du erst, was Freiheit ist. – Ist das nicht schön …?«
»Sehr schön, Nataschka.« Gebhardt legte die Hände hinter seinen Kopf. »Aber ich bin ein Deutscher. Man wird mich hassen und dich mit! Man wird dich auspeitschen und dir die Haare abschneiden, dich nackt durchs Dorf jagen, und jeder darf dich mit Steinen bewerfen, bis du tot zusammenbrichst …«
»Sie werden es nicht tun! Nicht in Krassnoje Mowona!«
»Erst müssen wir dort sein.« Er drehte sich auf die Seite und nahm sie in seine Arme. Ihr warmer Körper zitterte. »Ich habe nie geglaubt, daß es eine solche Liebe gibt …«, flüsterte er. »Ich möchte dich nie wieder hergeben.«
»Du wirst es nie können.« Sie lachte und biß ihn in das Ohrläppchen. »Ich werde dich nie verlassen … und wenn du mich wegstößt, werde ich wiederkommen und dich töten. Unsere Liebe kann wie der Frost sein … er bricht die Stämme auf und zerreißt sie.«
Von ferne hörten sie Grollen und Donnern. Und plötzlich war es da … wie eine Riesenfaust schlug es auf die Erde, der Bunker bebte und zitterte, von den Wänden bröckelte die Erde, und immer und immer wieder schlug es ein, dröhnte die Erde und schüttelte sich wie in Krämpfen.
Die Treppe hinunter stürzte Luka. Seine gefrorene Kleidung knirschte, als er sich gegen die Wand stützte.
»Die Front kommt!« schrie er. »Ganz nahe vor dem Sumpf steht ein Bataillon! Ich habe sie gesehen … Was da schießt, seid ihr, die Deutschen!« Die Faust Lukas fuhr zu Gebhardt hin. »Geräumt habt ihr das ganze Gebiet … verloren habt ihr den Krieg! Wir sind frei! Frei!«
Er brüllte es, der Idiot. Dann nahm er einen Sack aus der Erde, riß die Decken weg und warf die Kleider hin.
»Zieht euch an! Entgegen gehen wir ihnen, den Brüderchen! Winken und tanzen werden wir! Los, kommt doch … zieht euch an …«
Er rannte wieder die Treppen hinauf ins Freie. Das Schießen wurde stärker. Natascha und Gebhardt zogen sich an. Kaum waren sie marschbereit, als Luka erneut in den Bunker stürzte. Er war bleich und sein Gesicht war ratlos.
»Sie schießen auf mich, die Genossen!« brüllte er. »Geschwenkt habe ich die Arme, und ein Tuch habe ich flattern lassen! Und was tun sie? Sie schießen auf mich! Kann man das verstehen? Aber wenn du hinaufkommst, werden sie still sein!« Er sah zu Gebhardt hinüber. Dieser trug wieder seine deutsche Offiziersuniform. Einen Revolver lud er gerade, den ihm Natascha gegeben hatte. »Du bleibst unten!« sagte er zu ihm.
»Ilja kommt mit!« rief Natascha. »Vor ihm her werde ich auf die Genossen zugehen!«
Sie rannte die Treppe hinauf. Der Abend schlich über die Baumwipfel. Leuchtkugeln an Fallschirmen erhellten die Sümpfe, ihr gleißend helles Licht pendelte über das Land. Granatwerfer beschossen die letzten deutschen Stützpunkte … Natascha sah es, als sie aus dem Dickicht trat. In Gruppen sprangen braungrüne Gestalten mit runden Stahlhelmen über die vereisten Sumpfflächen, warfen sich hin und schossen auf einige graue
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