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Natascha

Natascha

Titel: Natascha Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Laute näher als wirklich. Schnell verdeckte Gebhardt den glimmenden Punkt der Pfeife mit beiden Händen. Den Kopf zog er ein, als erwarte er einen Schlag.
    Menschen, dachte er. Endlich Menschen! Oder war's ein Tier?! Nein, laß es Menschen sein, mein Gott … Er nahm die Hände von der Pfeife und rauchte weiter. Anständig sterben, das ist schön, dachte er. Nicht verrecken wie ein Tier in einer Baumhöhle. Ein Kolbenhieb, ein Bajonettstich, ein Genickschuß … das ist wirklich schön! Schnell geht es, und es erlöst.
    Er richtete sich auf, so gut es seine abgestorbenen Beine erlaubten, und tastete mit dem Gehör in die Richtung, aus der die klatschenden Laute kamen.
    »Hallo!« rief er in den vereisten Wald hinein. »Hallo! Hallo!«
    Er lauschte. Selbst das Knistern des Tabaks in der Pfeife störte ihn jetzt. Das klatschende Geräusch erstarb.
    Jetzt bleiben sie stehen, dachte er. Sie sehen sich an. Die Waffen entsichern sie. Hörst du, Brüderchen? Aus welcher Richtung kam's?! Tichij (Still!)!
    »Hallo!« rief Gebhardt wieder.
    In den Zweigen knackte es. Gebhardt hob die Hand und winkte. Hierher, hierher … und spart euch den Satz, den ihr allen Gefangenen zuschreit: Ruki na sat! (Hände auf den Rücken!) Ich laufe euch nicht fort … seht, ich habe ja keine Beine mehr, ich habe nur noch einen halben Körper … nur ein Herz ist's noch, das schlägt, und ein Gehirn, das schrecklich klar denkt.
    Das Knacken kam näher … jemand brach durch die urweltlichen Büsche. Hinter seinem Rücken krachten gefrorene Zweige. Klaus Gebhardt senkte den Kopf. Ganz weit nach vorn beugte er sich. Richtig, dachte er. Iwan Iwanowitsch … komm von hinten. Ich beuge ja schon den Kopf vor … Seht ihr den Nacken und den Haaransatz? Leicht mache ich es euch … und nun schießt … schießt doch … Brüder …
    Er zog noch einmal an seiner Pfeife, verzweifelt, sinnlos, und wartete.
    Natascha Astachowa schlich durch den Wald, dem Rufen nach. Ein heiseres Schreien war es, was sie aufgejagt hatte. Eine Stimme, die mehr wie ein Heulen klang. Wie eine verfolgte Wölfin brach sie durch die Büsche, warf sich den eisenharten Zweigen entgegen, zertrat das Unterholz und sprang in die vereisten Büsche hinein.
    »Hallo! Hallo!«
    Ein Zittern lief durch Natascha. In der Nähe war's, ganz nahe … und sie kannte diese Stimme … sie erkannte sie … Himmel, Himmel, Ilja, Ilja …
    »Ilja!« schrie sie grell. Sie warf sich über die liegenden Stämme … und da war's … ein glimmender Punkt, ein lautes Atmen … unten, zwischen dem Wurzelwerk, nahe der Erde.
    »Iljascha …«, stammelte sie. »O bog! Ilja – radi boga! Ilja!« (O Gott! Um Gottes willen!)
    Wie eine Tigerin schnellte sie vor, warf sich über den Stamm und kroch neben Gebhardt auf die vereiste Erde.
    »Iljascha«, schrie sie wieder. »Moj Ilja! Oh! Oh!«
    Sie umschlang ihn, küßte ihn, wild, unbeherrscht, vergehend. Mit den Lippen tastete sie über sein starres, vereistes Gesicht, taute seine Lippen auf, seine Augen, die Wimpern, die Wangen. »Iljascha!« rief sie immer wieder und küßte und herzte ihn. »Ich bin da … Ich hole dich … Ich liebe dich … Ich liebe dich … O Ilja. Ich bin da …«
    Klaus Gebhardt war nach hinten umgesunken. Der Aufprall des dunklen Körpers schreckte ihn nicht … aber der erste Aufschrei Nataschas war wie eine Faust, die gegen sein Herz stieß, ungeheuer, alles zertrümmernd … die Adern, das Blut, den Verstand …
    »Nataschka …«, sagte er leise. Er lag auf dem Rücken, und ihre Lippen glitten über sein Gesicht. Die Stoppeln seines Bartes rissen ihre Haut auf … sie spürte es nicht. Ein Weinen und ein Lachen war's, das aus ihr hervorbrach, und sie streichelte ihn, massierte seine Hände, seine Wangen, seine Brust. Dann warf sie sich auf ihn, preßte sich an ihn, um seinen eisigen Körper mit ihrer Wärme aufzutauen.
    Gebhardt legte die Hände um ihren kleinen, schmalen Kopf. Er sah sie an … ihre glücklichen und in der Tiefe vor Angst flackernden Augen, und er zog den Kopf an sich und versuchte, sie mit seinen starren, aufgesprungenen Lippen zu küssen.
    »Es ist vorbei, Nataschka …«, sagte er kaum hörbar.
    »Es beginnt erst, Iljascha –«
    »Ich habe keinen Körper mehr.«
    »Dann laß mich zwei haben, Ilja.«
    Ihr Gesicht schwebte über ihm. Unwirklich war es, wie eine seltsam geformte Wolke am abendlichen Himmel, die wegtreibt in die Steppe.
    »Nur mein Mund spricht noch … ich bin schon tot …«
    »Ich sehe deine Augen,

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