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Natascha

Natascha

Titel: Natascha Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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gehen«, sagte er deshalb. »Ein paar Rubelchen können schon verdient werden, während du mit den Beamten sprichst. Und besser ist's auch, wenn ein Mädchen allein kommt. Hol der Teufel die Beamten …«
    Und so wurde es. Luka fuhr Natascha zur Verwaltung, einem riesigen Palast mit Hunderten von Fenstern. Von dem langen Dach wehten breite rote Fahnen, Spruchbänder hingen zwischen den Fensterreihen, und die Bilder Stalins, Lenins und einiger Marschälle blähten sich im Morgenwind.
    Luka hielt den Karren an und ließ Natascha absteigen. Er zögerte, ob er mitkommen sollte. Das große Haus, die vielen Beamten darin, und unter ihnen das zarte Vögelchen, das man rupfen und kneifen würde.
    »Was ist, Luka?« fragte Natascha, als er nicht weiterfuhr.
    »Ich sollte mitkommen, Täubchen …«
    »Du bleibst draußen. Fahr zu deinem Bahnhof …«
    »Ich fahr schon, Täubchen, ich fahr schon …« Er schnippte mit den Zügeln aus selbstgedrehten Stricken, dick wie ein normaler männlicher Daumen, und das kleine, struppige Pferdchen zog an und trottete mit gesenktem Kopf davon.
    Natascha wartete, bis Luka um die Ecke gefahren war. Dann ging sie in den Verwaltungspalast und hielt den ersten herumrennenden Beamten an, der ihr begegnete.
    »Wo ist der Kommandeur, Genosse?« fragte sie.
    »Kommandeur?« Der Beamte musterte sie verblüfft. »Wen meinen Sie damit, Genossin?«
    »Den obersten von euch Idioten!«
    Der Beamte schien vom Land zu kommen, er verstand die Sprache, ohne beleidigt zu sein. Ein Stadtmensch hätte sich zumindest sehr gewundert.
    »Unmöglich, dahin zu gehen, Genossin«, sagte er fast feierlich. »Jeden Tag sind Sitzungen, Abordnungen kommen, Komitees werden gebildet, Pläne aufgestellt … So ein Frieden bringt viel Arbeit, Genossin.«
    Natascha ließ ihn stehen und fragte sich weiter durch. Im ersten Stockwerk, in einer großen Halle, erfuhr sie, daß hinter einer hohen, glänzenden Tür der Mann sein Zimmer hatte, dem alle Beamten Moskaus unterstanden. Zwei Vorzimmer mußten durchgangen werden, ehe man ihm ins Gesicht schauen durfte.
    Was soll's?, dachte Natascha. Ihn will ich sprechen, nicht seine Sekretäre. Sie sah sich um, und da niemand sie beachtete, ging sie auf die hohe Tür zu, auf der ein weißes Schild klebte: ›Eintritt verboten‹.
    Ohne Zögern drückte sie die Klinke herunter und ging hinein.
    Ein dicker Mensch saß allein hinter seinem Schreibtisch und las die Prawda. Dabei rauchte er und schien viel Zeit zu haben –
    Der Bahnhof von Moskau ist ein Wunderwerk, so wenigstens kam es Luka vor, als er mit seinem Pferdchen davor stand, in die weite Halle blickte, die vielen Menschen sah und das hastende Leben, das von einer Uhr bestimmt wurde, die groß und allen sichtbar in der Halle hing.

Züge liefen ein, und Züge fuhren davon, nach allen Richtungen und nach Namen, die Luka nie gehört hatte. Nachdem er sich genug gewundert hatte, fuhr er das Wägelchen zu der Stelle, wo er die meisten Leute aus dem Bahnhof kommen sah. Dort stellte er sich auf, winkte mit beiden Armen und brüllte in die Menge hinein, die von einem gerade angekommenen Zug auf die Straße quoll.
    »Hierher, Genossen«, schrie er, und die in seiner Nähe gingen, zuckten zusammen, als habe sie ein Vulkan überrascht. »Warum tragt ihr eure Säcke und Koffer selbst? Dumm seid ihr, Brüderchen. Ladet es auf meinen Wagen. Für ein paar Kopeken fahr ich euch hin, wohin ihr wollt …«
    Ein paar Reisende blieben stehen und musterten Luka. Sie überlegten, ob man es wagen könne, diesem kaum menschlich aussehenden Individuum die Koffer anzuvertrauen. Schließlich wagten es zwei, aber nur, weil sie bewaffnet waren. Offiziere der Armee waren's, sie warfen ihre Taschen in den Wagen und traten an Luka heran.
    »Zuerst zum Roten Platz und dann zur Oktober-Kaserne.«
    »Sofort, sofort, Genossen.« Luka richtete sich auf und zeigte auf die Offiziere. »Zwei kluge Genossen gibt's«, schrie er wieder über die Menge. »Und ihr tragt alles selbst? Schämen sollt ihr euch, eure wertvollen Kräfte so wegzuwerfen. Der Frieden braucht starke Männer … also laßt euer Gepäck von Luka fahren –«
    Wirklich entschlossen sich noch vier Reisende, ihre Koffer und Taschen auf Lukas Wagen zu heben. Bauern waren's aus der Umgebung, eine Abordnung sogar. Sie wollten zur Kolchosenverwaltung, um die Genehmigung zu erlangen, anstelle von Kohlköpfen von jetzt an Ferkelchen zu schönen Schweinen aufzuziehen. Ein Friede ohne satte Bäuche ist ein halber

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