Natascha
ballte die Fäuste. »Er hat mir sogar die Meldung der Bautruppe gezeigt …«
»Dann ist es auch fertig, Täubchen.« Luka lachte. »Wer will so genau sein? Ein Dach ist da und ein Boden, auf dem man schlafen kann. Das andere wird noch kommen … das Papierchen ist ja schon da, und das ist wichtig.« Er sah an dem großen Haus empor. »Wo ist das Zimmerchen?«
»Erstes Stockwerk, Zimmer 12.«
Luka humpelte voraus, stieg über den Schutt auf der Treppe und stampfte mit seinen Krücken den Flur entlang, bis er vor dem Zimmer 12 stand. Sogar die Nummern waren schon angebracht, was bedeutete, daß das Haus bewohnbar sei.
Im Zimmer stand ein Arbeiter und sah aus dem Fenster, als Luka die Tür aufstieß.
»Du sollst nicht in die Luft blasen, sondern arbeiten, Genosse«, brüllte Luka. »Was tust du hier?«
»Ich bin der Glaser.« Der Arbeiter senkte den Kopf und begriff nicht, daß so etwas, was da ins Zimmer krachte, wie ein Mensch sprechen konnte.
»Und wir sind die Mieter, Genosse. Heute abend sind die Fenster drin, oder du hörst in deiner Hose die Wölfe heulen …«
»Das Glas ist knapp, Genosse«, stotterte der Arbeiter.
»Was kümmert's mich? Hier steht Natascha Astachowa, Leutnant und ›Heldin der Nation‹. Sie will Fenster haben.«
Am Abend waren die Fenster verglast, das Pferdchen hatte einen Sack voll Heu bekommen und schlief in einem Schuppen, Natascha hatte das Zimmer geputzt – es gab ja fließendes Wasser –, und überhaupt wurde das Zimmer unter den Händen Nataschas wohnlich und erhielt eine persönliche Note durch einen neuen Spiegel, den Natascha gekauft hatte. Das Einschlagen eines Nagels ohne Hammer löste Luka auf seine Weise. Er nahm den Nagel und drückte ihn mit dem Daumen in die Wand. Dann betrachtete er sein Gesicht in dem Spiegel, schüttelte den Kopf und wandte sich ab.
»Er muß einen Fehler haben, der Spiegel«, sagte er brummend. »Denn so sieht kein Mensch aus –«
Und Natascha lachte laut, rannte zu ihm und küßte ihn auf das, was bei anderen Menschen ein Mund ist.
Mit einem sauberen Boden, neuen Fensterscheiben, einigen Decken auf den Dielen und einem Spiegel an der Wand, vor allem aber mit fließendem Wasser, läßt sich's schon leben, Freunde. Was noch fehlte, würde auch noch kommen, vor allem ein Ofen, um sich ein Süppchen oder einen guten Kasch selbst zu kochen.
In dieser ersten Nacht im eigenen Zimmer schliefen sie zum erstenmal seit Monaten ruhig und zufrieden, ganz losgelöst von aller Angst und allen Problemen. Den entscheidenden Schritt in den Frieden hatten sie getan. Papiere hatten sie, und eine Arbeit und ein Zimmer, und alles an einem einzigen Tag. Ein Wunder war's.
Am Morgen war es dann ein Tag, ganz anders als andere Tage vorher. Frei war man und doch ein vollwertiger Genosse, nicht mehr frei wie ein wildes Tier in der Taiga.
Natascha fuhr zu ihrer Arbeitsstelle, um sich vorzustellen; Luka spannte sein Pferdchen an und trottete wieder zu seinem Stand am Bahnhof.
Doch diesesmal gab es Schwierigkeiten. Nicht mit der Kundschaft, wo denkt ihr hin. Mit den Behörden kam er zusammen, wie konnte es anders sein?
Kaum stand er vor dem Bahnhof und rief sein Sprüchlein in die auf den Vorplatz quellende Menge, als ein Polizist an den Wagen herantrat und die Hand auf den Kutschbock legte.
»Sei so freundlich, Genosse«, sagte er ganz höflich, »und zeig mir mal deine Konzession …«
Für Luka war dies ein neues Wort. Mißtrauisch sah er den Polizisten an und wölbte die Unterlippe vor.
»Was willst du sehen, Brüderchen?«
»Die Konzession.«
»Aha. Die. Ich verstehe. Zu Hause muß ich sie haben.«
»Ohne Konzession darfst du hier nicht stehen. Komm wieder, wenn du sie bei dir hast.«
Luka nickte. Zwei Koffer hatte er aufgeladen, und während der Fahrt zum Roten Platz erkundigte er sich bei seinen Kunden, was eine Konzession ist. Als er erfuhr, daß es eine amtliche Genehmigung zur Ausführung eines Berufes sei, wurde er nachdenklich und kratzte sich den Kopf.
Im Grunde verstand er nicht, warum er eine Genehmigung haben mußte, wenn er anderer Leute Koffer schleppte. Hatte man jemals gehört, daß ein Bauer eine amtliche Genehmigung haben mußte, wenn er seinen Garten umgrub? Na also … wo kommt man hin, wenn man sich sogar die Arbeit genehmigen lassen muß?
Luka fuhr zurück zum Bahnhof und stellte sich auf. Er brüllte seinen Werbespruch in die Menge und hatte vier Bauernsäcke auf dem Wagen, als der Polizist wieder auf ihn zukam.
»Na,
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