Natascha
Friede.
Luka hielt seine riesige Hand hin und kassierte. Die Kopekenstückchen klimperten auf seiner Handfläche, und es war Musik in seinen Ohren. Dann zählte er das Geld zusammen und errechnete, daß es drei Rubel waren.
»Wohlan, Genossen«, schrie er seine ersten Kunden an. »Fahren wir … zuerst zum Roten Platz.«
»Zur Kolchosenverwaltung«, wagte einer der Bauern zu widersprechen. Luka fuhr herum.
»Zum Roten Platz wollen die Genossen Offiziere«, brüllte er. Der Bauer knickte zusammen und wackelte mit dem runden Kopf. »Wollt ihr Bauernpack mehr sein als die Sieger der Roten Armee, he?« Er wandte sich an die beiden ungeduldig neben dem Pferdchen wartenden Offiziere. »Hat man schon jemals solche dummen Wanzen gesehen?« fragte er breit lächelnd. »Wollen die Offiziere überstimmen, haha. Für ein paar lausige Kopekchen. Was sich der Mensch so denkt. Natürlich geht's zum Roten Platz –«
Das hatte einen für Luka wichtigen Grund. Den Weg zum Roten Platz kannte er. Nicht zu verfehlen war er … man brauchte nur den Türmen des Kreml entgegenzufahren. Aber die Oktober-Kaserne und erst recht die Kolchosenverwaltung … na ja, Genossen … auch dahin würde man kommen. Nur Geduld.
Er schnalzte mit der Zunge, das Pferdchen zog an, und die erste Fuhre Lukas bewegte sich dem Roten Platz entgegen. Neben dem Pferd schritten die beiden Offiziere, hinter dem Wägelchen trabte die Bauerndelegation daher. Ein schöner Anblick war's.
Während die Offiziere und die Bauern das Mausoleum besichtigten – Luka hatte die Bauern ebenfalls dahin getrieben mit den Worten: »Es schadet euch nichts, Brüderchen, den großen Genossen anzusehen. Oder liebt ihr ihn nicht?« worauf sie schleunigst den Offizieren nacheilten –, erkundigte sich Luka nach den Wegen zur Kaserne und zur Kolchosenverwaltung. Sie lagen genau entgegengesetzt voneinander, und Luka beschloß, zuerst die Offiziere hinzubringen und dann die Bauerndelegation. Schwierigkeiten würde das geben, gewiß, aber man hatte schon andere Dinge durchgestanden.
Nach einer Stunde kamen die Offiziere und die Bauern wieder. Luka rückte etwas auf dem Bock zur Seite. »Setzt euch, Genossen Offiziere«, sagte er. »Bis zur Kaserne ist's eine halbe Stunde –«
»Welche Kaserne?« fragte einer der Bauern. Die Delegation sah mißtrauisch zu Luka hinauf.
»Die Oktober-Kaserne, Brüderchen.«
»Aber wir wollen doch –«
»Habt ihr den Krieg gewonnen oder die Genossen Offiziere?« brüllte Luka. Er sah furchterregend aus, und in der Hand hielt er einen jungen Baum, den er als Gerte benutzte. »Ihr wollt den Staat anbetteln, aber sie haben ihn gerettet. Ruhe jetzt.«
Sie fuhren los. Die Offiziere auf dem Bock, die Bauerndelegation hinter dem Wagen trabend. Sie wagten nicht, ihre Koffer und Taschen herunterzunehmen. Sie kannten so etwas wie Luka, nur in einer etwas kleineren Ausführung. Überall gab es diese gewalttätigen Menschen, und es war besser, ihnen aus dem Weg zu gehen, als Streit anzufangen. So gingen sie also eine halbe Stunde hinter dem Wagen her zur Kaserne und dann eine weitere Stunde zurück, quer durch Moskau, zur Kolchosenverwaltung, mit verbissenen Gesichtern und ab und zu einen Schluck Wodka nehmend, um die Wut zu dämpfen.
»Seht, Genossen«, sagte Luka, als sie endlich vor dem Kolchosenamt standen, »wir sind schon da. Eile reibt den Menschen auf, wollt ihr's leugnen? Und frische Luft ist gut für Lungen, die nur Stallmist atmen. Und ein schöner Tag ist's doch heute, was? Warm, als ob die Sonne sich verirrte. Viel Erfolg, Genossen, mit euren Ferkelchen –«
Wortlos ging die Bauerndelegation ins Haus. Es hatte keinen Sinn, zu streiten. Und schließlich war man ja da, wohin man wollte.
Noch zweimal fuhr Luka Gepäck zum Roten Platz, das letztemal für einen gutgekleideten Herrn, der zum Bolschoi-Theater wollte und schon viermal das Mausoleum gesehen hatte.
Als Luka darauf zurück zum Bahnhof kam, sah er Natascha an der Straße stehen und auf ihn warten. Er winkte mit seinem Baumstamm und schrie »Täubchen, Täubchen«, trieb das Pferd an und klapperte johlend auf den Bahnhof zu.
Natascha stand da und hatte eine Hand voll Papiere. Ihr Gesicht glänzte, die Haare hatte sie anständig gekämmt, ja sogar geschnitten, wie Luka sah, und – der Teufel hol's – sogar ein neues Kopftuch hielt sie in der anderen Hand und winkte damit Luka zu wie mit einer Fahne.
»Wir haben ein Zimmer, du Idiot«, rief sie, als Luka vor ihr anhielt. »Und Arbeit
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