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Natascha

Natascha

Titel: Natascha Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Kopf.
    »Aber Genossen«, sagte er fast traurig. »Man kann sich doch friedlich über wichtige Probleme unterhalten. Warum die Messerchen? Ist's doch so, daß ihr durch die Stube fliegt, wenn ich kräftig atme. Warum macht ihr solche Unannehmlichkeiten, Brüder? Nur wegen einer Nacht. Wo bleibt die Nächstenliebe?«
    Er stampfte mit seinen Krücken zum ersten Bett. Der kleine Tatar schnellte hoch, aber wie man eine Motte abwehrt, so flatterte er gegen die andere Wand, als ihn der Schlag Lukas traf. Dort sank er zusammen und starrte den Riesen an, als könne er es nicht begreifen. Der andere Tatar lächelte noch immer, aber er steckte den Dolch weg und ging zu seiner Familie. Ihn hatte es nicht getroffen, er hatte sein Bett behalten.
    »Komm, Täubchen …«, sagte Luka. Er führte die im Schlaf gehende Natascha zum Bett, ließ sie sich niederlegen und setzte sich neben sie, links und rechts seine Baumstämme, das leblose Bein weit von sich in die Stube gestreckt.
    »So ist's gemütlich, Genossen«, sagte er zufrieden. »Und hofft nicht, daß ich schlafe …«
    Als der Mond über die Moskwa zog, lagen die Tataren und ihre Familien auf dem übriggebliebenen Bett und auf dem Fußboden, zusammengerollt wie schlafende Raupen. Sie schnarchten und seufzten und stießen ihre Ausdünstungen aus.
    Nur Luka schlief nicht. Er wachte bei Natascha und sah hinüber zu dem kleinen Fenster, vor dem der bleiche Mondschein wanderte und ihn an den Schnee erinnerte, in dem sie wochenlang gelegen hatten.
    Dann dämmerte es, und Luka reckte sich, spürte Hunger und Durst und erinnerte sich liebevoll an das Pferdchen, das hinter dem Haus auf der Erde lag und den Morgentau vom Boden leckte.
    Zum Bahnhof, dachte er. Koffer werden wir fahren, mein Liebling. Und Rubelchen werden wir verdienen. Schöne, runde, klingende Rubelchen. Ein Leben wird das werden, bei meiner Seele … Ein Pferdchen, ein Zimmerchen und viele Rubelchen … was will man mehr … Zum Lachen wär's, wenn man den Frieden nicht überlebte –
    Er seufzte, und es muß so laut gewesen sein, daß Natascha erwachte. Sie richtete sich auf den Ellenbogen auf, überblickte das Zimmer mit den auf dem Boden liegenden Kindern und Frauen, und setzte sich dann gerade hin.
    »Wo sind wir, Luka?« fragte sie leise. Ihre Stimme klang nicht sehr freundlich. Luka stellte es betrübt fest. Er kratzte sich den Kopf und nagte an seinen Barthaaren. Natürlich, dachte er. Nichts gemerkt hat sie gestern nacht, so müde war das Vögelchen. Aber jetzt ist es munter wie ein Fischlein, und jetzt wird's wieder Schelte geben. Ein hartes Leben ist's fürwahr, Freunde.
    »In einem Zimmerchen sind wir, Nataschka«, sagte Luka vorsichtig. »Gute Freunde … alle … Haben ein Bett geräumt für dich und sich auf den Boden gelegt. Gute, echte, liebenswerte Genossen sind's, mit einem Herz in der Brust. Man kann sie nur loben …«
    Natascha erhob sich von dem Lager und reckte sich. Ein kleines, gelbes Kind mit verquollenen Schlitzaugen begann zu weinen. Die Mutter neben ihm wälzte sich zur Seite, zog es an sich und schob ihre Brust aus der Bluse. Sie legte das wimmernde Kind an, und während es trank, schlief sie schon wieder weiter. Wie eine säugende Ratte, dachte Natascha. Die Müdigkeit und Trostlosigkeit des vergangenen Tages war von ihr gewichen. Sie hatte geschlafen, und mit diesem Schlaf waren die Enttäuschungen vergangen, die sie wie gelähmt hatten. Etwas von der alten Kraft, die sie zwei Jahre lang durch die Pripjetsümpfe getrieben hatte, kehrte zu ihr zurück. Sie warf den Kopf in den Nacken und kämmte sich die langen Haare mit gekrümmten Fingern. Luka starrte sie an. Das kannte er, dieses Kopfwerfen, diese dunkelglänzenden Augen, diesen kleinen, trotzigen Mund.
    »Was soll's?« fragte er vorsichtig.
    »Wir fahren zur Verwaltung«, sagte sie. »Beweisen will ich, daß ich Natascha Astachowa bin. Leutnant der Roten Armee … Und ich werde für dich und mich ein Zimmer bekommen und Arbeit und alles, was wir brauchen …« Sie sah seinen zweifelnden Blick und hörte mit dem Kämmen auf. »Du glaubst es nicht?«
    »Schwer wird's sein, mein Täubchen. In der Verwaltung sitzen keine Soldaten, sondern Beamte.«
    »Dann wird man ihnen zeigen, was ein Soldat ist.«
    Lukas Herz in der Brust hüpfte vor Freude, aber es war eine geheime Freude. An sein Bein dachte er, an das Leben als Deserteur, an die beiden Soldaten von Kaluga, deren Köpfchen dünn wie Eierschalen waren.
    »Ich werde zum Bahnhof

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