Natascha
auch sonst nirgendwo. Hier werde ich nicht lange bleiben, dachte sie, als sie das kleine Oberkontrolleur-Zimmer wieder verließ. Vielleicht war es doch ein Fehler von Luka, nach Moskau gegangen zu sein?
Am Abend kam Luka nach Hause. Als er die Tür des Zimmers 12 in der Tusstunkaja 3 aufriß, starrte ihn Natascha ungläubig an. Dann setzte sie sich und schlug die Hände zusammen wie ein Kind, das zum erstenmal einen vom Himmel fallenden Stern erblickt.
Es war nicht allein das fremde Bild, daß Luka rasiert war und seine Haare geschnitten waren. Obgleich er völlig fremd aussah, ja, in seiner Art sogar schön und interessant, ein menschliches Gesicht, in dem die Gutmütigkeit wie ein Plakat stand, trug er etwas mit sich herum, was inmitten seines nun glatten Gesichtes wie ein schreiender Hohn wirkte: Luka hatte ein dickes, geschwollenes, blaues Auge.
»Luka, was ist denn?« fragte Natascha atemlos. »Was hat man aus dir gemacht? Wo warst du?«
Luka lehnte sich verlegen an die Wand. Er legte die breite Hand auf sein blaues Auge und grinste verschämt.
»Eine Konzession habe ich mir geholt, Täubchen …«
»Eine was?«
»Eine amtliche Erlaubnis, mit dem Pferdchen am Bahnhof zu stehen. Schwer war's, glaub es mir. Ist schon eine Aufgabe, einen Beamten zu überzeugen … und wenn es erst neun Stück sind …«
»Du hast neun Beamte erschlagen?« rief Natascha entsetzt. »Luka …«
»Wie die Wölfe hingen sie an mir. Heulend und zähnefletschend. Dann schlug mir einer seine Faust ins Auge, ich glaube, der Natschalnik selbst war's, der dicke Mensch mit der Prawda – «
»Luka«, schrie Natascha. »Was hast du angestellt? Du hast den obersten der Behörde verprügelt?«
»Unterhalten haben wir uns, Täubchen. Über eine Konzession. Ganz friedlich unterhalten, so wie man's unter Männern macht.« Er griff in die Tasche seines Rockes und holte einen Ausweis hervor. Mit breitem Lächeln hielt er ihn Natascha hin. »Hier ist sie, die Konzession. Nur Geduld muß man haben mit den Beamten –«
»Und … und wo sind die Beamten jetzt …?«
»In ihren Zimmerchen, Natascha. Nur vorgestellt haben wir uns gegenseitig … dann waren wir friedlich und haben sogar einen Wodka getrunken. ›Die Haare mußt du dir schneiden lassen‹, hat der Natschalnik noch gesagt. ›Ohne geschnittene Haare und immer rasiert gibt's keine Konzession.‹ ›Eine Miststadt ist das, Genossen‹, habe ich gesagt. Dann habe ich mich rasieren lassen und habe die Konzession bekommen. Aber nur, weil er dich schon gekannt hat, der Natschalnik, mein Täubchen –«
Natascha wagte nicht daran zu denken, was in den Stunden, die Luka im Verwaltungsapparat verbracht hatte, geschehen war. Fast unverständlich war's, daß Luka noch frei herumlief und niemand gekommen war, sie aus dem Zimmer zu werfen.
»Du bist und bleibst ein Idiot«, schrie Natascha plötzlich. »Einen Stuhl sollte man nehmen und ihn auf dir zertrümmern …«
Nun war es Luka, der sprachlos staunte. Er sah sich um, und er kratzte sich den Kopf und schnalzte mit der Zunge, als säße er auf dem Bock hinter seinem Pferdchen.
Im Zimmer standen zwei Betten, und ein Tisch war da, und zwei Stühle. Sogar ein Ofen war angeschlossen, und an der Wand neben der Tür waren sieben Kleiderhaken angebracht, an denen bereits die Sachen hingen.
»Für einen Schrank reicht's noch nicht … wir kaufen ihn im nächsten Monat …«, sagte Natascha.
»Ein richtiges Bett«, sagte Luka. »Wahrhaftig … aus Eisen und mit einer Matratze … Laß mich überlegen, wie lange es her ist, daß ich in einem Bett gelegen habe …«
»Denk nicht – leg dich hinein, ob es paßt. Es war das größte Bett, das ich haben konnte.«
Luka humpelte zu dem Bett und wälzte sich auf die Federmatratze. Sie knirschte und bog sich unter ihm, aber sie hielt stand. Natürlich war das Bett zu kurz … Lukas Beine ragten bis zu den Waden über das eiserne Fußstück hinaus. Er lächelte verzeihend, als er Nataschas unglückliche Miene sah, und winkte mit der Hand.
»Man kann es ihnen nicht übelnehmen, den Bettherstellern, Täubchen«, sagte er milde. »Sie kennen nur normale Menschen.« Er betrachtete sinnend die weißlackierten, eisernen Gitterstäbe des Fußendes; dann beugte er sich ächzend vor und legte die mächtigen Hände zwischen die Stäbe.
»Luka«, rief Natascha. Aber zu spät war's schon. Es knirschte laut, der weiße Lack sprang ab, und dann gaben die Stäbe nach, bogen sich zur Seite, sprangen aus den
Weitere Kostenlose Bücher