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Natascha

Natascha

Titel: Natascha Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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Tumanow hatte unterdessen eine laute Unterredung mit Gennadi Igorowitsch Popow, dem Natschalnik. »Die Genossin ›Heldin der Nation‹ kommt 'raus«, forderte Tumanow lakonisch. »Sie ist zu schade für die Fabrik. Eine große Sängerin steckt in ihr. Ich werde sie ausbilden –«
    Popow verzog den Mund. An alles hatte er gedacht, nur nicht daran, daß der Fabrik ›Große Wolga‹ ihre ›Heldin der Nation‹ gestohlen werden könnte.
    »Darüber kann ich nicht entscheiden«, sagte Popow vorsichtig. Man wußte, daß Tumanow ein Freund Stalins war. Sie tranken oft zusammen im Kreml, und dann ließ Tumanow seine Schüler vorsingen. »Die Genossin Astachowa ist eingewiesen von der obersten Behörde. Man scheint noch Großes mit ihr vorzuhaben.«
    »Genau das ist es«, sagte Tumanow. »Die größte Sängerin Rußlands wird aus ihr werden. Begreifen Sie das? Schon morgen wird sie nicht bei Ihnen arbeiten …«
    »Unmöglich.« Popow rang die Hände. »Fünfhundert Rubel hat sie Vorschuß.«
    »Der Staat bezahlt's«, rief Tumanow. »Von heute ab wird die ganze Nation für Natascha Astachowa sorgen …«
    Schon dunkel war's und Luka saß auf seinem verbogenen Bett und aß mit beiden Händen eine riesenhafte Butterschnitte, als es klopfte und Waleri Tumanow in das Zimmer kam. Natascha stand am Ofen und kochte einen Grießmehlpudding.
    »Es ließ mir keine Ruhe«, sagte er und starrte auf Luka. So muß ein Höhlenbär vor viertausend Jahren gegessen haben, dachte er dabei. Wirklich, ein Fossil ist's, nur lebt er, was ganz unbegreiflich ist.
    »Soll man ihm die Knochen zerbrechen, Täubchen?« fragte Luka. Er sah den Blick Tumanows auf sich und das Erstaunen Nataschas über diesen absonderlichen Besuch.
    »Er kann sogar sprechen …«, sagte Tumanow verblüfft. »Man soll's nicht für möglich halten.«
    Luka legte sein Brot auf die Bettdecke und wischte sich die Hände an der Hose ab. Da er sich am Morgen rasiert hatte und es nun Abend war, hatte sein Gesicht das Aussehen einer grandiosen Kaktee.
    »Ich werde ihn umbringen müssen«, sagte er dunkel. »Er will's nicht anders, Täubchen –«
    Natascha hörte nicht auf ihn. Sie kam zu Tumanow an die Tür und gab ihm die Hand. »Kommen Sie ins Zimmer, Genosse Tumanow«, sagte sie freundlich. »Es sind zwar nur zwei Stühle hier, aber Luka sitzt ja auf seinem Bett.«
    Waleri Tumanow kam vorsichtig in den Raum. Dabei nickte er zu Luka hin. »Beißt er wirklich nicht?«
    Mit einem kleinen Bogen umging er das Bett und setzte sich auf einen der Stühle ans Fenster. Von dort aus überblickte er die spärliche Zimmereinrichtung, aber er sah, daß sie sauber war und mit Liebe und Not gekauft.
    »Ich bin gekommen, um Ihnen zu sagen, Genossin Astachowa, daß Sie ab morgen nicht mehr in der Fabrik ›Große Wolga‹ arbeiten werden. Unser Staat hat ein Stipendium für begabte Sowjetbürger ausgesetzt, und Sie werden ein solches Stipendium erhalten.«
    Luka senkte den Kopf. »Stipendium …«, knurrte er. »Genauso ein Wort wie Konzession. Der Teufel hole eure ganzen Zettelchen –«
    »Wer ist das?« fragte Tumanow.
    »Luka. Ich kann Ihnen nicht von ihm erzählen, Genosse … wir brauchten ein Jahr dazu. Aber ohne Luka wär' es mir, als gäbe es keine Luft zum Atmen mehr.«
    Waleri Tumanow strich sich über die weißen Haare. Er ahnte die Zusammenhänge. Bevor er in die Tusstunkaja 3 gekommen war, hatte er sich nach Natascha Astachowa erkundigt und das Aktenstück eingesehen, das bei der Militärhauptverwaltung in Moskau von ihr geführt wurde. Danach war sie seit 1943 tot, in den Sümpfen des Pripjet gefallen, dann war sie wieder aufgetaucht, hatte angegeben, mit Luka, dem Burschen ihres gefallenen Mannes, sich im deutschen Gebiet verborgen gehalten zu haben, sei dann überrollt worden und in die Freiheit marschiert. Eine wilde, aber im Krieg alltägliche Geschichte, nur stellte sich jeder, der das Aktenstück las, ein kräftigeres Weib vor, nicht ein zartes Püppchen wie Natascha.
    Tumanow nickte mehrmals. »Sie werden Gesang studieren, Genossin«, sagte er.
    Natascha lachte. Auch Luka lachte, und das Bett knirschte.
    »Ich? Wo ich nicht singen kann? Keine Noten, gar nichts?«
    »Sie werden alles lernen, Natascha Astachowa. Gott hat Ihnen eine wunderbare Stimme gegeben –«
    »Sagte er – Gott?« Luka kratzte sich die dicke Nase. »Ein merkwürdiger Genosse ist's, Natascha. Man sollte vorsichtig sein –«
    Waleri Tumanow hörte nicht zu ihm hin. Er sprach weiter, und er berauschte

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