Natascha
Genosse«, sagte er, »hast du das Papierchen geholt?«
»Job twojemadj«, antwortete Luka schlicht.
Das ist, bei meiner Ehre, Genossen, keine Art, mit einem Beamten zu sprechen. So etwas regt auf, vor allem, wenn man im Dienst ist.
Der Polizist verzichtete auf weitere Erklärungen. Er holte ein kleines Notizbuch aus der Tasche und schrie Luka an.
»Name? Wohnort? Beruf? Ausweis her …«
Auch er hat ein Köpfchen, dünn wie eine Eierschale, dachte Luka. Nur ist kein Krieg mehr, und hundert Leute stehen herum. Und auch für Natascha wär's nicht gut, wenn man den Kopf eines Beamten zusammendrückt.
Seufzend fügte sich Luka und dachte nach, wie er eigentlich heiße. Kaum noch erinnern konnte er sich. Nur Luka, der Idiot … das war ihm geläufig. Aber das war kein amtlicher Name.
»Wie heißt du?« brüllte der Polizist.
»Luka Nikolaijewitsch Korowin.« Wie komisch das klingt, dachte er dabei. Korowin … und plötzlich war es ihm, als röche er das Asowsche Meer, den Wind mit Tang und Fischgeruch, der ihm einmal in den kindlichen Locken spielte.
»Wohnung?«
»Tusstunkaja 3, Zimmer 12.«
»Ausweis?«
»Hier –« Luka hielt das von Natascha besorgte Ausweispapier hin. Seine Angaben stimmten, der Polizist gab das Papier zurück.
»Bestraft wirst du werden«, schrie er. »Und nun geh. Und wenn du wiederkommst ohne Konzession, sperre ich dich ein.«
Luka beschloß, den Kampf gegen die Beamten aufzunehmen. Fluchend fuhr er kreuz und quer durch Moskau, bis er den großen Verwaltungspalast fand. An einem Laternenpfahl band er das Pferd fest und stampfte dann mit seinen Baumstammkrücken in die vornehme Halle des Gebäudes.
Wenn der Kreml einstürzte, wäre man entsetzt. Das Erscheinen Lukas aber löste eine Panik aus. Man läutete nach der Polizeiwache und drückte sich an die Wand, wenn der Riese fluchend und schnaubend vorbeistampfte. Auch fragte er nicht wie Natascha nach dem Weg … mit Sicherheit, wie ein witterndes Wild, fand er hinauf zum ersten Stock und zu der großen Tür mit dem Schild ›Eintritt verboten‹. Es war allerdings umgeändert worden; einen Zusatz hatte man darüber geschrieben. ›Eintritt streng verboten‹ hieß es jetzt.
Luka riß die Tür auf. Der dicke Mensch saß wieder hinter seinem Schreibtisch und las die Prawda. Und er rauchte auch wieder, eine süße, orientalische Zigarette sogar.
»Wohl bekomm's, Genosse«, brüllte Luka und trat die Tür hinter sich zu. »Hast du eine Konzession, die Prawda zu lesen …?«
Der Natschalnik des Industriewerkes ›Große Wolga‹ sah sich die Papiere an, die ihm Natascha über den Tisch reichte. Er war der Personalchef, und das war er plötzlich geworden, vom kleinen Buchhalter im Buchhaltersaal hupp hinauf auf den Thron, weil sein Vorgänger besonders hübsche Mädchen in seinem Privatzimmer nach ihrem Vorleben gefragt hatte. Man hatte dies als klassenfeindlich angesehen, den Genossen Personalleiter hinter den Ural in ein Bergwerk versetzt und den unauffälligen Buchhalter emporgehoben.
Seine Dankbarkeit war deshalb groß, aber noch mehr seine Vorsicht, daß es ihm nicht auch so erginge wie seinem Vorgänger. So las er also, daß Natascha Astachowa ein berühmtes Mädchen war, tapfer im Krieg gekämpft hatte und daß man wünsche, daß sie standesgemäß eingesetzt werde.
»Eine Ehre ist es uns, Genossin Leutnant«, sagte der Natschalnik und nahm unter dem Tisch die Füße zusammen. Nie war er Soldat gewesen … einmal wegen eines Lungenleidens und zum zweiten wegen eines Onkels, der als Oberst es immer verstanden hatte, sein Bruderkind vor der Ehre des Schlachtfeldes zu bewahren. »Wir sind erfreut, Sie bei uns zu sehen. Natürlich haben wir Arbeit für Sie, wo denken Sie hin? Nur einmal nachsehen muß ich, was Ihrer würdig ist …«
Genosse Gennadi Igorowitsch Popow wußte, auch ohne nachzusehen, daß es keine Stellung im Werk ›Große Wolga‹ gab, die man Natascha Astachowa anbieten konnte. Es sei denn, seinen eigenen Posten, aber hier versagte sein vaterländischer Opfermut. Immerhin hatte er drei Kinder, und das entschuldigt vieles. Eine neue Stelle mußte geschaffen werden, und Popow entsann sich, daß bei der letzten Sitzung des Betriebsrates die Rede war, daß die Kontrolle der Endprodukte trotz eingesetzter Kontrolleure nicht klappte. Ein Schock war das gewesen, man kann's wohl sagen. Am Rande der Sabotage wandelte die Fabrik ›Große Wolga‹ dahin, an einem Verschleudern des Volksvermögens.
»Ich hab's, Genossin
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