Natascha
es eine Weile still in dem Zimmer. Luka sah Natascha an. Den ganzen Tag war er mit dem Pferdchen spazierengegangen. Es hatte ihn viel Kraft gekostet; auf seinen Baumstammkrücken war er neben dem Gaul durch die Straßen gewankt, und die Leute waren stehengeblieben, um diesen Anblick voll genießen zu können. Dann hatte Luka am Ufer der Moskwa gesessen, während das Pferdchen langsam das Gras abrupfte, das am Ufer wuchs. Hier war wieder ein Polizist gekommen und hatte gesagt, es sei verboten, das Gras abfressen zu lassen.
»Verboten!« hatte Luka wild geschrien. »Alles ist verboten! Eine Miststadt ist das, wo alles, was man tut, unrecht ist. Was darf man denn bei euch, he?«
»Das Maul halten!« schrie der Polizist zurück. »Wo kämen wir hin, wenn jeder Bauernlümmel seine Gäule in den städtischen Anlagen fressen ließe?! Das hier ist ein Park, du Idiot! Ein Volkspark! Begreifst du das? Also weg mit der Mißgeburt von Gaul, oder ich schieße sie zusammen!«
So zog Luka den ganzen Tag weiter. Das Pferdchen trottete ihm nach, leckte ab und zu über Lukas riesige Hand oder blies ihm in den breiten, fleischigen Nacken. Dann lachte er und umarmte den Hals des Pferdes und sehnte sich zurück in die Weite des flachen Landes, in die Felder, die am Horizont mit dem Himmel zusammenstießen, in die Wälder, deren Rauschen im Wind wie die Brandung des Meeres klang.
Und nun stand dieser kleine, zarte Waleri Tumanow da, mitten im Zimmer, unter der Glühbirne im weißen Lampenschirm, und sagte: »Das Pferdchen kommt auf die Sowchose.«
In Lukas riesiger Brust hielten zwei stählerne Klammern sein Herz umfaßt.
»Eine Kolchose, sagst du?« fragte er zurück. »Das ist gut. Auf einer Kolchose ist auch Platz für Luka!«
»Ich habe nur das Pferd untergebracht! Du kommst in ein Krankenhaus! So war's ausgemacht!«
»Und hinterher?«
»Das wird sich finden.«
Luka senkte den Kopf. Zu Natascha sah er hinüber, und er wußte, daß es von jetzt ab ein anderes Leben geben würde. Was dem Krieg nicht gelungen war, erreichte der Frieden: sie wurden auseinandergerissen. Und es gab keine Möglichkeit, das zu verhindern.
»Wann … wann soll das alles geschehen?« fragte Natascha leise.
»Sofort. Schon ab morgen! Das Pferdchen wird abgeholt und –«
»Ich bringe es hin!« sagte Luka laut.
»Auch gut! Du bringst es hin. Natascha Astachowa wird ausziehen und ein schönes großes Zimmer in der Akademie beziehen. Für Luka steht ein Bett im Krankenhaus bereit und später ein Erholungsaufenthalt am Schwarzen Meer. Ich habe für alles gesorgt.«
Und so geschah's auch.
Schon am nächsten Tag brachte Luka das Pferdchen zur Sowchose ›Maxim Gorkij‹ nach Molokowo. Er fuhr mit ihm und dem Wägelchen über die staubigen Feldwege, rupfte einige halbgewachsene Kohlköpfe aus und ließ es fressen, bis es seufzend den Kopf schüttelte. Dann stellte er den Wagen vor dem Haus des Natschalniks ab und stampfte in das Gebäude.
Washa Igorowitsch saß gerade über einer Berechnung, die ihm Sorge machte. Man verlangte eine Rentabilitätsberechnung über das Verhältnis Saat und zu erwartende Ernte. Das war ein schwieriges Schriftstück, denn wenn man zuwenig angab, hieß es, der Natschalnik von ›Maxim Gorkij‹ ist ein unfähiges Rindvieh, gab man aber zuviel an, hatte man Not, die Masse bei der Ernte zusammenzubringen, denn man war genau in der Zentralverwaltung und wollte das haben, was auf dem Papierchen stand. Zudem mußte man eine Sollsteigerung einkalkulieren, denn ohne Sollsteigerung ist man ein schlechter Natschalnik. Man hat schon seine Sorgen, Freunde …
In diese Not hinein platzte Luka. Er riß die Tür auf, hieb mit der Faust gegen die Türfüllung, was einem Anklopfen gleichkam, und trat vor Washa Igorowitsch. Dieser sah auf, schüttelte den Kopf, kniff die Augen zusammen, schüttelte sich noch einmal und bestätigte sich, daß er nicht im Kino saß und einen Film mit Urweltungeheuern sah, sondern daß er hinter seinem Schreibtisch saß und die Sonne durch die etwas blinden Scheiben schien.
»Was soll's?« schrie Washa Igorowitsch. Er war dick, denn ein guter Natschalnik hat immer dick zu sein, und was ihm an körperlicher Beweglichkeit fehlte, ersetzte er durch die Mächtigkeit seiner Stimme.
»Das Pferdchen bringe ich!« brüllte Luka zurück. »Und sehen will ich, wo es hinkommt. Wie es schläft, was es zu fressen bekommt, wo es herumläuft …«
»Das Pferdchen!« Washa Igorowitsch klappte seine Berechnungen zu. »Ei,
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