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Natascha

Natascha

Titel: Natascha Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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sich selbst an den eigenen Worten.
    »Wir werden Sie ausbilden, Genossin. Zwei Jahre lang werden Sie singen lernen, der Staat wird Sie ernähren und kleiden und Ihnen eine bessere Wohnung geben. Sie werden ein gutes Taschengeld erhalten, nichts wird Ihnen fehlen, von allen werden Sie beneidet werden … nur schwere Arbeit wird's geben, sehr schwere, Genossin. Sprechübungen, Atemübungen, Noten lernen, Klavier spielen, Musikgeschichte, Kostümkunde, Opernstudie, Ensemblespiel, Mimik, Fechten und Reiten, Schminktechnik, Tanz und Rollenstudium. Es wird Ihnen schwindeln, Genossin … aber nach zwei Jahren – das verspreche ich Ihnen – stelle ich Sie vor als die größte Sängerin, die Mütterchen Rußland je geboren hat …«
    Natascha setzte sich. Ein wenig schwach wurden ihre Beine. Wer kann's auch begreifen, wenn man ihm ein Leben anbietet, das man nur im Traum leben durfte? Sie sah an den Augen Tumanows, daß es Wahrheit war, kein leeres Dahingerede oder gar Spott … er sah sie mit seinen alten, blauen, gütigen Augen strahlend an, und es war eine neue Welt, die mit seinen Worten aus seinem Mund kam.
    »Und … und Luka …?« fragte Natascha.
    Tumanow sah hinüber zu dem Riesenbären. Er hockte bewegungslos auf seinem Bett, wie ein präpariertes Ungeheuer.
    »Er könnte mit dir ziehen … aber besser ist's, wenn –«
    »Ohne Luka geht es nicht«, sagte Natascha hart. Tumanow sah sie verwundert an. Ein wenig von der Kraft, die in dem zarten Körper verborgen lag, spürte er plötzlich. Und er wußte, daß man dagegen nicht ankam. Nicht mit Logik, nicht mit Überredung.
    »Aber das Stipendium gilt nicht für ihn.« Tumanow fuhr sich wieder durch die Haare. »Was tust du denn?«
    »Eine Konzession habe ich«, sagte Luka stolz. »Willst du sie sehen? Gepäck fahre ich vom Bahnhof aus durch die Stadt.«
    »Unmöglich.« Waleri Tumanow stützte den Kopf in die Hände. »Die Stimme eines Engels und ein Gepäckfahrer im Gefolge. Wir müssen uns etwas aussinnen, Genosse Luka …« Er strich sich mit den Fingerspitzen langsam über die Lippen. »Eine Möglichkeit wär's … wirklich, das könnte man tun … Wir werden Luka in ein Krankenhaus bringen … operieren werden wir ihn … versuchen, sein Beinchen wieder flottzumachen … Wir haben gute Chirurgen in Moskau, Genossin. Sie haben schon anderes operiert, als ein zerschossenes Bein. Ein halbes Jahr werden wir Luka so in guter Obhut haben, und geheilt wird er dazu. Alles auf Kosten des Staates. Und wenn er entlassen wird, werden wir etwas Neues für ihn finden … Ist das ein guter Vorschlag, Natascha Astachowa …?«
    »Schon, schon«, sagte Luka. »Ein neues Bein, ein halbes Jahr zu essen, ein gutes Bett … aber –«
    »Was aber, Genosse?«
    »Was wird aus meinem Pferdchen?«
    »Welchem Pferdchen?« fragte Tumanow verblüfft.
    »Das, das den Karren für die Koffer zieht. Ich kann mein Pferdchen nicht allein lassen …«
    »Mein Gott«, schrie Tumanow. »Jetzt ist's das Pferd. Zum Heulen ist's. Soll ich mich auch noch um die Gäule kümmern? Verkauf es, verschenk es, laß es schlachten –«
    Luka sah Natascha groß an. Nun dachten sie wieder das gleiche, und Einigkeit war in ihnen, wie in den verschneiten Wäldern in all den Jahren.
    »Geh, Genosse«, sagte Luka dunkel. »Oder ich breche dir die Knochen. – Das Pferdchen gehört zu uns.«
    Waleri Tumanow seufzte. Eine göttliche Stimme, ein Urwelttier und ein struppiges Pferdchen, sie waren nicht zu trennen.
    Was sollte man tun, um der Welt diese Stimme zu schenken …?
    Waleri Tumanow setzte sich auf das Bett Nataschas und faltete die Hände über dem dünnen Bauch. Er sah es ein, wenn er die beiden Menschen so betrachtete, wie sie selbst ihr Leben bisher betrachtet hatten. Ohne das Pferdchen ging es nicht.
    »Gut denn, Genossen«, sagte er sinnend. »Man muß sich das einmal genau überlegen, ihr seht's doch ein, was? Wie kann man sagen: Dem Pferdchen wird's gutgehen? Ich bin Gesanglehrer und kein Pferdeknecht. Suchen wir also einen schönen Platz für das Pferd, wo es bleiben kann und sich wohl fühlt und sich ausruhen kann vom großen Krieg. Ist's so recht, Luka?«
    »Erst muß ich sehen, wo's hinkommt«, knurrte Luka.
    Natascha nickte. Angst hatte sie vor dem Neuen, Unbekannten, das mit Waleri Tumanow in ihr Leben getreten war. Sie kannte die große Kunstakademie von außen, sie hatte von den Wirklichkeit gewordenen Wundern gehört, die auf der Bühne des Bolschoi-Theaters sich entrollten … und in diese

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