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Nathalie küsst

Nathalie küsst

Titel: Nathalie küsst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Foenkinos
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mich war. Insofern schuldest du mir schon eine Erklärung, sonst verlange ich ja nichts von dir.» Etwas in dieser Art hatte er sagen wollen. Doch so ist das nun mal mit den Unterhaltungen über die Herzensangelegenheiten: Es kommt stets zu fünfminütigen Verzögerungen.
    An diesem Tag war er zu arbeiten nicht in der Lage. Er hatte sich in sein Schicksal gefügt, nachdem die Dinge mit Nathalie sich an jenem Abend, an dem es in der Fußballmeisterschaft zu dieser Unentschiedenserie gekommen war, erledigt hatten. Die Eigenwilligkeit sexueller Triebfedern hatte es gewollt, dass der Beziehung zu seiner Frau dadurch sogar ein zweiter Frühling beschieden worden war. Wochenlang hatten sie ununterbrochen miteinander geschlafen, hatten ihre Körper wieder zueinandergefunden. Dies ließ sich durchaus als prachtvolles Stadium bezeichnen. Manchmal entbrennt die Leidenschaft heftiger, wenn man eine alte Liebe neu entdeckt, als wenn man die Liebe nur einfach so findet. Doch dann begann der Verfall allmählich wieder höhnisch seine Kreise zu ziehen. Wie hatten sie glauben können, ihre Liebe sei zu retten? Es war nur eine Phase gewesen, ein Zwischenspiel der Verzweiflung, die eine andere Form angenommen hatte, eine karge Ebene, an deren Rändern sich zwei erhabene Berge auftürmten.
    Charles fühlte sich ausgelaugt und müde. Alles Schwedische konnte ihm gestohlen bleiben. Dieser anstrengende Habitus, immer ruhig zu bleiben. Nie ins Telefon zu schreien. Dieses relaxte Gehabe und die Eigenart, die Betriebsangehörigen zur Massage zu schicken. Der ganze Wellness-Kram ging ihmlangsam auf den Wecker. Er sehnte sich nach mediterraner Hysterie und träumte manchmal davon, Geschäfte mit Teppichhändlern zu treiben. In einer solchen Stimmung hatte er sich befunden, als er die Nachricht bezüglich Nathalies Privatleben vernehmen musste. Von da an dachte er nur noch an diesen Mann, diesen Markus. Wie hatte er es angestellt, noch dazu mit so einem Scheißvornamen, Nathalie zu verzaubern? Er hätte das nicht für möglich gehalten. Er wusste nur zu gut, dass ihr Herz so etwas wie eine Fata Morgana war; sobald man sich ihm näherte, war es weg. Aber das schien sich in dem Fall anders zu verhalten. Ihrer übertriebenen Reaktion war zu entnehmen, dass an den Gerüchten etwas dran war. O nein, das durfte nicht sein. Damit würde er nie fertig werden. «Wie hat er es angestellt?», sagte Charles immer wieder vor sich hin. Wahrscheinlich hat er sie verhext, der alte Schwede, oder irgendetwas in der Art. Sie betäubt, hypnotisiert, ihr ein Mittelchen eingeflößt. Etwas anderes kam gar nicht infrage. Sie war ihm so verändert erschienen. Ja, vielleicht war es das, was ihn am meisten verletzt hatte: Er erkannte seine Nathalie gar nicht wieder. Sie hatte sich irgendwie gewandelt. Eine regelrechte Modifikation hatte stattgefunden. Das hieß, es gab nur einen Weg: diesen Markus vorladen, um herauszufinden, wie faustdick er es hinter den Ohren hatte. Um sein Geheimnis zu lüften.

 
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    Anzahl von Sprachen, darunter auch das Schwedische,
in denen der 1957 mit dem Prix Renaudot ausgezeichnete Roman

Paris – Rom oder Die Modifikation
von Michel Butor
erschienen ist
    20

 
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    Markus war nach dem Grundsatz erzogen worden, nie irgendwelchen Wirbel zu machen. Sich unauffällig zu verhalten, wo er auch hinkam. Das Leben sollte einem langen Flur gleichen. Daher verfiel er automatisch in Panik, als er zum Chef zitiert wurde. Er mochte sich als Mann beweisen, seinen Sinn für Humor und sein Verantwortungsbewusstsein zeigen, eine verlässliche Größe sein, doch sobald er es mit einer Respektsperson zu tun bekam, stand er da wie ein kleines Kind. Im Zustand höchster Wallung bedrängten ihn zahlreiche Fragen: «Warum will er mich sehen? Was habe ich getan? Habe ich bei der Akte 114 den Versicherungsanteil schlechtausgehandelt? War ich in letzter Zeit zu oft beim Zahnarzt?» Von allen Seiten stürmten Schuldgefühle auf ihn ein. Und vielleicht lag darin ja seine wahre Natur. Er witterte ständig die nicht vorhandene Gefahr einer über ihn hereinbrechenden Strafe.
    Er klopfte stets auf seine Art, mit zwei Fingern. Charles beorderte ihn herein.
    «Bonjour, ich wollte Sie sprechen … weil Sie mich sprechen …»
    «Ich hab jetzt keine Zeit … Ich hab einen Termin.»
    «Ach so. Na gut.»
    «…»
    «Okay, dann geh ich wieder. Ich komm später noch mal.»
    Charles komplimentierte diesen Mitarbeiter, den er im Moment nicht empfangen konnte, hinaus. Er erwartete

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