Nathan der Weise
Ihr? – Wie? Ihr hättet
Den Schatten eines Wunsches nur nach Recha
Ihm blicken lassen: und er wär vor Freuden
Nicht aufgesprungen? hätte frostig sich
Zurückgezogen? hätte Schwierigkeiten
Gemacht?
TEMPELHERR . So ungefähr.
DAJA . So will ich denn
Mich länger keinen Augenblick bedenken –
(Pause.)
TEMPELHERR . Und Ihr bedenkt Euch doch?
DAJA . Der Mann ist sonst
So gut! – Ich selber bin so viel ihm schuldig! –
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Dass er doch gar nicht hören will! – Gott weiß,
Das Herze blutet mir, ihn so zu zwingen.
TEMPELHERR .
Ich bitt Euch, Daja, setzt mich kurz und gut
Aus dieser Ungewissheit. Seid Ihr aber
Noch selber ungewiss; ob, was Ihr vorhabt,
Gut oder böse, schändlich oder löblich
Zu nennen: – schweigt! Ich will vergessen, dass
Ihr etwas zu verschweigen habt.
DAJA . Das spornt
Anstatt zu halten. Nun; so wisst denn: Recha
Ist keine Jüdin; ist – ist eine Christin.
TEMPELHERR
(kalt)
.
So? Wünsch Euch Glück! Hat’s schwer gehalten? Lasst
2331
Euch nicht die Wehen schrecken! – Fahret ja
Mit Eifer fort, den Himmel zu bevölkern;
Wenn Ihr die Erde nicht mehr könnt!
DAJA . Wie, Ritter?
Verdienet meine Nachricht diesen Spott?
Dass Recha eine Christin ist: das freuet
Euch, einen Christen, einen Tempelherrn,
Der Ihr sie liebt, nicht mehr?
TEMPELHERR . Besonders, da
Sie eine Christin ist von Eurer Mache.
DAJA . Ah! so versteht Ihr’s? So mag’s gelten! – Nein!
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Den will ich sehn, der die bekehren soll!
Ihr Glück ist, längst zu sein, was sie zu werden
Verdorben ist.
TEMPELHERR . Erklärt Euch, oder – geht!
DAJA . Sie ist ein Christenkind; von Christeneltern
Geboren; ist getauft …
TEMPELHERR
(hastig)
. Und Nathan?
DAJA . Nicht
Ihr Vater!
TEMPELHERR . Nathan nicht ihr Vater? – Wisst
Ihr, was Ihr sagt?
DAJA . Die Wahrheit, die so oft
Mich blut’ge Tränen weinen machen. – Nein,
Er ist ihr Vater nicht …
TEMPELHERR . Und hätte sie,
Als seine Tochter nur erzogen? hätte
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Das Christenkind als eine Jüdin sich
Erzogen?
DAJA . Ganz gewiss.
TEMPELHERR . Sie wüsste nicht,
Was sie geboren sei? – Sie hätt es nie
Von ihm erfahren, dass sie eine Christin
Geboren sei, und keine Jüdin?
DAJA . Nie!
TEMPELHERR . Er hätt in diesem Wahne nicht das Kind
Bloß auferzogen? ließ das Mädchen noch
In diesem Wahne?
DAJA . Leider!
TEMPELHERR . Nathan – Wie? –
Der weise gute Nathan hätte sich
Erlaubt, die Stimme der Natur so zu
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Verfälschen? – Die Ergießung eines Herzens
So zu verlenken, die, sich selbst gelassen,
Ganz andre Wege nehmen würde? – Daja,
Ihr habt mir allerdings etwas vertraut –
Von Wichtigkeit, – was Folgen haben kann, –
Was mich verwirrt, – worauf ich gleich nicht weiß,
Was mir zu tun. – Drum lasst mir Zeit. – Drum geht!
Er kömmt hier wiederum vorbei. Er möcht
Uns überfallen. Geht!
DAJA . Ich wär des Todes!
TEMPELHERR . Ich bin ihn itzt zu sprechen ganz und gar
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Nicht fähig. Wenn Ihr ihm begegnet, sagt
Ihm nur, dass wir einander bei dem Sultan
Schon finden würden.
DAJA . Aber lasst Euch ja
Nichts merken gegen ihn. – Das soll nur so
Den letzten Druck dem Dinge geben; soll
Euch, Rechas wegen, alle Skrupel nur
Benehmen! – Wenn Ihr aber dann, sie nach
Europa führt: so lasst Ihr doch mich nicht
Zurück?
TEMPELHERR . Das wird sich finden. Geht nur, geht!
Vierter
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