Nathan der Weise
seine Macht nicht über uns. – Es sind
Nicht alle frei, die ihrer Ketten spotten.
SALADIN .
Sehr reif bemerkt! Doch Nathan wahrlich, Nathan …
TEMPELHERR .
2760
Der Aberglauben schlimmster ist, den seinen
Für den erträglichem zu halten …
SALADIN . Mag
Wohl sein! Doch Nathan …
TEMPELHERR . Dem allein
Die blöde Menschheit zu vertrauen, bis
Sie heilern Wahrheitstag gewöhne; dem
Allein …
SALADIN . Gut! Aber Nathan! – Nathans Los
Ist diese Schwachheit nicht.
TEMPELHERR . So dacht ich auch! …
Wenn gleichwohl dieser Ausbund aller Menschen
So ein gemeiner Jude wäre, dass
Er Christenkinder zu bekommen suche,
2770
Um sie als Juden aufzuziehn: – wie dann?
SALADIN . Wer sagt ihm so was nach?
TEMPELHERR . Das Mädchen selbst,
Mit welcher er mich körnt , mit deren Hoffnung
Er gern mir zu bezahlen schiene, was
Ich nicht umsonst für sie getan soll haben: –
Dies Mädchen selbst, ist seine Tochter – nicht;
Ist ein verzettelt Christenkind.
SALADIN . Das er
Dem ungeachtet dir nicht geben wollte?
TEMPELHERR
(heftig)
.
Woll’ oder wolle nicht! Er ist entdeckt.
Der tolerante Schwätzer ist entdeckt!
2780
Ich werde hinter diesen jüd’schen Wolf
Im philosoph’schen Schafpelz, Hunde schon
Zu bringen wissen, die ihn zausen sollen!
SALADIN
(ernst)
. Sei ruhig, Christ!
TEMPELHERR . Was? ruhig Christ? – Wenn Jud’
Und Muselmann, auf Jud’, auf Muselmann
Bestehen: soll allein der Christ den Christen
Nicht machen dürfen?
SALADIN
(noch ernster)
. Ruhig, Christ!
TEMPELHERR
(gelassen)
. Ich fühle
Des Vorwurfs ganze Last, – die Saladin
In diese Silbe presst! Ah, wenn ich wüsste,
Wie Assad, – Assad sich an meiner Stelle
Hierbei genommen hätte!
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SALADIN . Nicht viel besser! –
Vermutlich, ganz so brausend! – Doch, wer hat
Denn dich auch schon gelehrt, mich so wie er
Mit Einem Worte zu bestechen? Freilich
Wenn alles sich verhält, wie du mir sagest:
Kann ich mich selber kaum in Nathan finden. –
Indes, er ist mein Freund, und meiner Freunde
Muss keiner mit dem andern hadern. – Lass
Dich weisen! Geh behutsam! Gib ihn nicht
Sofort den Schwärmern deines Pöbels preis!
2800
Verschweig, was deine Geistlichkeit, an ihm
Zu rächen, mir so nahe legen würde!
Sei keinem Juden, keinem Muselmanne
Zum Trotz ein Christ!
TEMPELHERR . Bald wär’s damit zu spät!
Doch dank der Blutbegier des Patriarchen,
Des Werkzeug mir zu werden graute!
SALADIN . Wie?
Du kamst zum Patriarchen eher, als
Zu mir?
TEMPELHERR . Im Sturm der Leidenschaft, im Wirbel
Der Unentschlossenheit! – Verzeih! – Du wirst
Von deinem Assad, fürcht ich, ferner nun
Nichts mehr in mir erkennen wollen.
2810
SALADIN . Wär
Es diese Furcht nicht selbst! Mich dünkt, ich weiß,
Aus welchen Fehlern unsre Tugend keimt.
Pfleg diese ferner nur, und jene sollen
Bei mir dir wenig schaden. – Aber geh!
Such du nun Nathan, wie er dich gesucht;
Und bring ihn her. Ich muss euch doch zusammen
Verständigen. – Wär um das Mädchen dir
Im Ernst zu tun: sei ruhig. Sie ist dein!
Auch soll es Nathan schon empfinden, dass
2820
Er ohne Schweinefleisch ein Christenkind
Erziehen dürfen! – Geh!
(Der Tempelherr geht ab, und Sittah verlässt den Sofa.)
Fünfter Auftritt
SALADIN
und
SITTAH .
SITTAH . Ganz sonderbar!
SALADIN . Gelt, Sittah? Muss mein Assad nicht ein braver,
Ein schöner junger Mann gewesen sein?
SITTAH . Wenn er so war, und nicht zu diesem Bilde
Der Tempelherr vielmehr gesessen! – Aber
Wie hast du doch vergessen können dich
Nach seinen Eltern zu erkundigen?
SALADIN . Und insbesondre wohl nach seiner Mutter?
Ob seine Mutter
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