Nathan der Weise
Grabe,
Wenn die nur fortgehn! Wenn die Christenpilger
Mit leeren Händen nur nicht abziehn dürfen!
Wenn nur –
SITTAH . Was soll nun das? Was soll das Geld
Bei mir?
SALADIN . Mach dich davon bezahlt; und leg
Auf Vorrat, wenn was übrig bleibt.
SITTAH . Ist Nathan
Noch mit dem Tempelherrn nicht da?
SALADIN . Er sucht
Ihn allerorten.
SITTAH . Sieh doch, was ich hier,
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Indem mir so mein alt Geschmeide durch
Die Hände geht, gefunden.
(Ihm ein klein Gemälde zeigend.)
SALADIN . Ha! mein Bruder!
Das ist er, ist er! – War er! war er! ah! –
Ah wackrer lieber Junge, dass ich dich
So früh verlor! Was hätt ich erst mit dir,
An deiner Seit’ erst unternommen! – Sittah,
Lass mir das Bild. Auch kenn ich’s schon: er gab
Es deiner altern Schwester, seiner Lilla,
Die eines Morgens ihn so ganz und gar
Nicht aus den Armen lassen wollt. Es war
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Der letzte, den er ausritt. – Ah, ich ließ
Ihn reiten, und allein! – Ah, Lilla starb
Vor Gram, und hat mir’s nie vergeben, dass
Ich so allein ihn reiten lassen. – Er
Blieb weg!
SITTAH . Der arme Bruder!
SALADIN . Lass nur gut
Sein! – Einmal bleiben wir doch alle weg! –
Zudem, – wer weiß? Der Tod ist’s nicht allein,
Der einem Jüngling seiner Art das Ziel
Verrückt. Er hat der Feinde mehr; und oft
Erliegt der Stärkste gleich dem Schwächsten. – Nun,
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Sei wie ihm sei! – Ich muss das Bild doch mit
Dem jungen Tempelherrn vergleichen; muss
Doch sehn, wie viel mich meine Phantasie
Getäuscht.
SITTAH . Nur darum bring ich’s. Aber gib
Doch, gib! Ich will dir das wohl sagen; das
Versteht ein weiblich Aug’ am besten.
SALADIN
(zu einem Türsteher, der hereintritt)
. Wer
Ist da? – der Tempelherr? – Er komm’!
SITTAH . Euch nicht
Zu stören: ihn mit meiner Neugier nicht
Zu irren –
(Sie setzt sich seitwärts auf einen Sofa und lässt den Schleier fallen.)
SALADIN . Gut so! gut! – (Und nun sein Ton!
Wie der wohl sein wird! – Assads Ton
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Schläft auch wohl wo in meiner Seele noch!)
Vierter Auftritt
Der
TEMPELHERR
und
SALADIN .
TEMPELHERR . Ich, dein Gefangner, Sultan …
SALADIN . Mein Gefangner?
Wenn ich das Leben schenke, werd ich dem
Nicht auch die Freiheit schenken?
TEMPELHERR . Was dir ziemt
Zu tun, ziemt mir, erst zu vernehmen, nicht
Vorauszusetzen. Aber, Sultan, – Dank,
Besondern Dank dir für mein Leben zu
Beteuern, stimmt mit meinem Stand und meinem
Charakter nicht. – Es steht in allen Fällen
Zu deinen Diensten wieder.
SALADIN . Brauch es nur
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Nicht wider mich! – Zwar ein paar Hände mehr,
Die gönnt ich meinem Feinde gern. Allein
Ihm so ein Herz auch mehr zu gönnen, fällt
Mir schwer. – Ich habe mich mit dir in nichts
Betrogen, braver junger Mann! Du bist
Mit Seel und Leib mein Assad. Sieh! ich könnte
Dich fragen: wo du denn die ganze Zeit
Gesteckt? in welcher Höhle du geschlafen?
In welchem Ginnistan , von welcher guten
Div diese Blume fort und fort so frisch
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Erhalten worden? Sieh! ich könnte dich
Erinnern wollen, was wir dort und dort
Zusammen ausgeführt. Ich könnte mit
Dir zanken, dass du Ein Geheimnis doch
Vor mir gehabt! Ein Abenteuer mir
Doch unterschlagen: – Ja, das könnt ich; wenn
Ich dich nur säh’, und nicht auch mich. – Nun, mag’s!
Von dieser süßen Träumerei ist immer
Doch so viel wahr, dass mir in meinem Herbst
Ein Assad wieder blühen soll. – Du bist
Es doch zufrieden, Ritter?
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TEMPELHERR . Alles, was
Von dir mir kömmt, – sei was es will – das lag
Als Wunsch in meiner Seele.
SALADIN . Lass uns
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