Nathanael
dem Hintern über den Fußboden rutschen müsste.
Langsam glitt sie zu Boden, der sich unter ihren Füßen als kalt und extrem glatt erwies. Egal, wenn sie hier rauswollte, musste sie zum Schrank. Wenn ihre Knie nur nicht so wackelig wären und sich in ihrem Kopf nicht alles drehen würde.
Nur kurz verschnaufen. Sie schloss die Augen und wartete, bis ihr Atem und Puls sich wieder beruhigt hatten. Hoffentlich platzte hier jetzt keiner rein und hinderte sie daran, das Krankenhaus zu verlassen. Bloß nicht der Dämon! Großer Gott, das mochte sie sich gar nicht ausmalen.
Schließlich machte sie einen Schritt nach vorne und noch einen mit ausgebreiteten Armen, was ihr eine bessere Balance ermöglichte. Dabei fluchte sie leise vor sich hin. Sie kam sich vor wie ein Kleinkind, das seine ersten Schritte tat. Nur schmerzte das vermutlich nicht so.
Als sie das Zimmer zur Hälfte durchquert hatte, wurde plötzlich die Tür aufgerissen. Tessa erschrak so sehr, dass sie ins Wanken geriet und gestürzt wäre, wenn Ernest sie nicht aufgefangen hätte.
«Was soll das? Du brauchst Ruhe. Zurück mit dir ins Bett.»
Er begleitete sie vorsichtig wieder zurück. Erschöpft sank sie aufs Bett und lehnte den Kopf gegen seine Schulter.
«Der Dämon ist hier. Ich spüre ihn … seine Kälte», flüsterte sie und begann erneut zu zittern.
«Du stehst noch unter Schock. Hier ist niemand.»
«Fühlst du denn nicht die Kälte?» Sie sah zu Ernest auf, der sie besorgt musterte.
«Nein.»
«Du musst es doch auch fühlen!», begehrte sie auf, aber Ernest schüttelte den Kopf.
«Du hast viel mitgemacht und bist durcheinander. Das ist normal. Was wolltest du bloß alleine dort? Noch dazu, wo du mir fest versprochen hast, keine einsamen Ausflüge mehr zu unternehmen.»
Tessa machte eine matte Handbewegung. Ernest hatte recht mit seinen Vorwürfen, aber sie hatte keine Kraft, um darüber zu diskutieren.
«Erzählst du mir, was gestern Nacht geschehen ist?», fragte er eine Spur sanfter und strich ihr übers Haar.
Sie zuckte mit den Achseln. «Ich kann mich kaum erinnern. Mein Kopf ist wie leer. Ich weiß weder, wer mich gefunden hat, noch wie ich hierher gekommen bin.»
«Jemand hat bei der Notrufzentrale angerufen und einen Rettungswagen angefordert. Du hast großes Glück gehabt. Nicht auszudenken, was geschehen wäre, wenn dich niemand gefunden hätte.» Er zog sie in die Arme. «Du hattest einen Schutzengel. Deine Rippen sind geprellt und du hast eine Gehirnerschütterung. Alles, was du jetzt brauchst, ist Ruhe.»
Sie konnte das Wort Engel nicht mehr hören. Aber sie musste ihrem Bruder zustimmen, sie brauchte Ruhe, denn das Brummen in ihrem Kopf verstärkte sich. Aber nicht hier.
«Du musst mich hier rausbringen. Meine Sachen sind da hinten drin.» Sie zeigte auf den Schrank.
«Das geht nicht. Mit einer Gehirnerschütterung ist nicht zu spaßen. Außerdem gönnst du dir zu Hause bestimmt keine Ruhe. Steven ist nicht da. Nein, da mache ich nicht mit.»
Ernest umfasste ihre Schultern und sah sie an. Der sanfte Klang seiner Stimme konnte nicht über die Bestimmtheit seiner Worte hinwegtäuschen.
«Ich bitte dich. Ich bilde mir das mit dem Dämon nicht ein. Außerdem hasse ich Krankenhäuser. Bring mich hier raus. Bitte.» Flehend sah sie zu ihm auf und erkannte an seiner Miene, wie sehr er mit der Entscheidung rang.
Bevor er antworten konnte, öffnete sich die Tür und eine Krankenschwester erschien im Türrahmen. Sie stutzte.
«Na, was machen wir denn für Sachen? Sie können doch nicht zulassen, dass Ihre Schwester aufsteht, Reverend Macombe.» Die Krankenschwester, eine schlanke Frau mittleren Alters, schüttelte missbilligend den Kopf. Mit energischen Schritten näherte sie sich Tessa.
«Die Kanüle ist ja auch rausgezogen.» Die Schwester schnalzte mit der Zunge und rollte mit den Augen. Während sie die Kanüle vom Schlauch trennte, half Ernest Tessa, sich wieder hinzulegen.
«Ich hole eine neue Kanüle. Die setze ich gleich wieder in ihren Arm», verkündete die Schwester. Tessa wollte protestieren, doch da rauschte sie bereits zur Tür hinaus.
Durch die geöffnete Tür sah sie draußen auf dem Flur einen Mann im weißen Arztkittel, der sie musterte. Es war nur der Bruchteil einer Sekunde, aber lang genug, dass Tessa seine rot glühenden Augen erkannte. Sie hatte sich also doch nicht getäuscht.
Halt suchend umfasste sie Ernests Hand. Er hatte ihre Furcht gespürt und wandte sich zur geöffneten Tür. Doch in diesem
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