Nathanael
Wagens. Jemand hatte den Dämon verfolgt.
Er schloss die Augen und konzentrierte sich wieder auf die Spurensuche. Blitze zuckten vor seinen Augen und formten sich zu verrauschten Bildern, wie auf einem alten Fernseher.
Er sah einen Streifenwagen, der die Auffahrt hinaufbrauste. Die Bremsspuren stammten also von ihm. Der Dämon hatte jemanden bei sich. Doch keine Leiche in Sicht. Wer mochte ihn begleitet haben? Ein Gefallener? Nein, dessen Präsenz hätte er eindeutiger wahrgenommen.
So sehr Nathanael sich bemühte, weitere Bilder in sich aufsteigen zu lassen, es misslang. Der Dämon hatte das Eindringen in seine Gedanken bemerkt.
Wütend donnerte Nathanael seine Faust gegen die metallene Lagerhauswand, die sich unter der Wucht seines Schlages verbeulte. Drinnen hallte es wie ein Paukenschlag.
Plötzlich hielt er inne und legte seine Handfläche gegen die Wand. Metall speicherte die dämonische Wärme länger als jedes andere Material. Es konnte sogar Kräfte verstärken, wenn man es verstand, damit umzugehen. Das Metall unter seiner Hand verströmte Wärme, was bedeutete, dass der Dämon noch nicht lange fort sein konnte. Er musste sein Herannahen gespürt haben und war geflohen.
Über ihm ertönte ein leises Kratzen. Nathanael trat einen Schritt zurück, legte den Kopf in den Nacken und ließ seinen Blick zum Dach hinaufschweifen. Stille. Er tippte auf einen Vogel, bis das Scharren in ein Klopfen überging.
Mit einem Satz sprang er aufs Dach. Vor seinen Füßen lag der leblose Körper einer Frau. Sie lag auf dem Rücken, den Kopf zur Seite gedreht und war ohnmächtig. Der weite Kragen ihres Mantels mit dem Goldknopf daran schlug durch den Wind auf das Blechdach. Ihr feuerrotes Haar klebte an der blutenden Schläfe.
Tessa!
Das konnte doch nicht wahr sein! Der Anblick ihres gekrümmten Körpers schnitt in sein Herz. Die Sorge um sie machte ihn fast wahnsinnig. Nathanael kniete sich neben sie und fühlte den Puls an ihrem Hals. Er war schwach. Vielleicht hatte sie innere Verletzungen. Sie brauchte dringend einen Arzt.
Vorsichtig hob er Tessa hoch und glitt mit ihr vom Dach. Sie hatte ihren Kopf an seine Brust geschmiegt und stöhnte leise. Ihr Haar roch blumig, nach Gardenie oder Lilie. Tief sog er den Duft ein. Er sah auf ihr bleiches, schönes Gesicht mit den flatternden Lidern herab. Ihren Körper wieder so dicht an seinem zu spüren, weckte in ihm erneutes Begehren.
Behutsam bettete er sie auf den Asphalt. Ihre kupfernen Wimpern warfen Schatten auf ihre zarte Haut. Blut rann über ihre Schläfe, das aus der klaffenden Wunde ihrer Stirn stammte. Er zog seine Jacke aus und legte sie zusammengerollt unter ihren Kopf.
Er holte sein Handy aus der Hosentasche und wählte die Notrufnummer. Es dauerte nur einen kurzen Moment, bis sich eine Frau am anderen Ende der Leitung meldete.
«Hallo? Hören Sie, auf dem Areal der Firma Ashton & Co. direkt vor den Lagerhallen neben dem Hubschrauberlandeplatz liegt eine verletzte Frau. Kommen Sie schnell.»
Bevor die Frau am anderen Ende der Leitung weitere Fragen stellen konnte, beendete er das Gespräch. Wenn der Rettungswagen nahte, musste er längst verschwunden sein. Er konnte es sich nicht leisten, befragt zu werden.
Tessa stöhnte erneut und verlangte seine Aufmerksamkeit. Er ging neben ihr in die Knie und beschloss, so lange wie möglich bei ihr zu bleiben. Sanft strich er über ihre kalten Wangen und redete leise und beruhigend auf sie ein.
Er fragte sich, weshalb der Dämon ausgerechnet sie verfolgte, fand aber keine plausible Erklärung.
Mit dem Zeigefinger fuhr er über ihre sanft geschwungenen Lippen und das Kinngrübchen. Diese einfache Berührung löste eine Welle prickelnder Erregung in ihm aus, die heiß durch seine Adern strömte. Ein Gefühl, das er lieber vergessen wollte. Ruckartig zog er die Hand zurück, als hätte er sich verbrannt. Er stellte sich vor, wie ihre smaragdgrünen Augen in Ekstase strahlen würden.
Tessa schlug die Augen auf und starrte ihn sekundenlang fragend an. Ihre Lippen zitterten leicht.
«Nathanael?», wisperte sie und lächelte.
Er konnte nicht anders, als sie zu küssen. Behutsam berührte er ihre Lippen. Sie waren weich und kalt, aber von einer verführerischen Süße, die nach mehr verlangte.
Tessa versuchte sich aufzusetzen. Ihr Gesicht verzog sich schmerzerfüllt. Behutsam hielt er sie zurück.
«Du musst jetzt ruhig liegen bleiben. Der Notarzt wird gleich da sein.»
Sie nickte. «Bitte bleib bei mir.» Flehend
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