Nathanael
sah sie ihn an.
Obwohl er wusste, dass es ein Fehler war, sagte er: «Ja, ich bleibe.»
Das Lächeln, das sie ihm schenkte, wärmte ihn wie ein Kaminfeuer. Tessa war gefährlich, sie war ihm vom ersten Moment an unter die Haut gegangen.
Aber es durfte nicht sein. Der Tod war sein ständiger Begleiter. Tessa sollte nicht das gleiche Schicksal wie Gina erleiden. Er durfte sie nicht wiedersehen.
Erleichtert atmete er auf, als die Sirenen des Krankenwagens ertönten. Kurz bevor die Ambulanz um die Ecke bog, verschwand er hinter den Fässern, die in einer dunklen Ecke aufgestapelt waren.
Der Krankenwagen raste an den Lagerhallen vorbei und bremste neben Tessa.
Nachdem er sicher war, dass sie notversorgt und in den Ambulanzwagen geschoben worden war, begab sich Nathanael mit neuer Dringlichkeit auf die Suche nach dem Gefallenen und dem Dämon.
Er hatte sich an Tessa vergriffen und Nathanael würde alles tun, damit das nicht wieder geschah. Auch wenn es nicht so sein sollte – jetzt war es persönlich.
12.
Tessa wollte sich auf die Seite drehen, aber irgendetwas, das in ihrem Arm steckte, hinderte sie daran. Mühsam schlug sie die bleiernen Lider auf. Wie spät war es?
Sie wandte ihren Kopf zur Bettseite, neben der gewöhnlich auf dem Nachttisch der Wecker stand. Aber er befand sich nicht an seinem Platz. Dieser Nachttisch gehörte nicht ihr. Überhaupt war hier alles fremd.
Erst jetzt erkannte sie die mit Heftpflaster fixierte Kanüle in ihrem Arm. Ein Schlauch hing daran und führte zu einem mit Flüssigkeit gefüllten Tropf, der an einem Ständer hing. Das hatte ihr gerade noch gefehlt. Was war geschehen?
Das Denken fiel ihr schwer, in ihrem Kopf schwirrten bruchstückhafte Erinnerungen, die es zu ordnen galt. Hatte sie nicht jemand geküsst oder entsprang das ihrer Einbildung? In ihrem Kopf summte es wie in einem Bienenstock, sodass sie keinen klaren Gedanken fassen konnte.
Nacheinander testete sie ihre Arme und Beine. Nichts war gebrochen, aber ihr Rücken schmerzte höllisch.
Sie hasste Krankenhäuser, den Geruch nach Desinfektionsmittel und das Gefühl der Trostlosigkeit, das sie jedes Mal beschlich, wenn sie jemanden besuchte. Der letzte Krankenhausbesuch lag Jahre zurück, als ihre Mom nach einem Autounfall im Koma gelegen hatte. Ihr blasses Gesicht würde sie nie vergessen, genauso wenig wie den Schmerz, als der Arzt sie gebeten hatte, sich von ihr zu verabschieden.
Und jetzt war sie selbst der Patient. Na, klasse. Sie musste hier raus. Als sie sich aufsetzte, zuckte sie vor Schmerz zusammen und sank in die Kissen zurück. Sie hatte das Gefühl, als habe ihr jemand seine Faust in den Magen geboxt.
Sie hob die Decke an. Außer dem geblümten Krankenhaushemd trug sie nichts. So konnte sie auf keinen Fall das Krankenhaus verlassen. Wo waren ihre Sachen?
Ihr Blick fiel auf einen schmalen Kunststoffschrank auf der anderen Seite des Zimmers, dessen Türschild ihren Namen trug. Sie schlug die Bettdecke beiseite. Selbst das fiel ihr schwer.
Vorsichtig bewegte sie ihre Beine. Ihre Muskeln in den Schenkeln waren hart und wollten kaum gehorchen.
Eine plötzliche Kälte erfasste sie, als hätte jemand bei der Klimaanlage die Stufe Gefrierschrank eingestellt. Ihr Atem schwebte wie im Winter in einer weißen Wolke vor dem Mund. Tessa verspürte das Gefühl, dass sich noch jemand im Raum befand, obwohl sie ihn nicht sah. So sehr ihre Augen jeden Winkel des Raumes absuchten, sie konnte nichts entdecken.
Hatte sie nicht das Gleiche in der Nähe des Mannes mit den rot glühenden Augen gespürt? Eine bedrückende Stille lastete im Raum, wie die Ruhe vor einem Sturm.
Ihr Herz begann, wie wild zu schlagen. Tessa rieb sich die Stirn, als könnte sie damit die Benommenheit vertreiben.
Vorsichtig entfernte sie die Kanüle aus ihrem Arm. Mit aller Kraft zog sie sich am Bettgriff hoch. Die Schmerzen in ihrer Rippengegend waren kaum zum Aushalten, sodass sie fast wieder losgelassen hätte. Aber ihr eiserner Wille setzte ungeahnte Reserven frei.
Ihre Hände zitterten vor Anstrengung. Sie keuchte und ihre Muskeln krampften. Doch dann – sie konnte es selbst kaum glauben – saß sie aufrecht.
Jetzt musste sie auf die andere Seite des Zimmers zu ihrem Schrank, um das Krankenhemd gegen ihre eigene Kleidung zu tauschen. Wenn ihr bereits das Aufsetzen solche Mühe kostete, wie sollte sie den Weg nach draußen schaffen? Sie zwang sich, die aufkommenden Zweifel zu verdrängen. Es musste irgendwie gehen. Und wenn sie auf
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