Nathanael
entschuldigend mit den Achseln zuckte. Also doch.
Wütend presste sie die Lippen zusammen. Einen Moment lang erwog sie, das sofort richtigzustellen, aber sie wollte Ernest nicht vor den anderen bloßstellen und schwieg. Später unter vier Augen müsste er ihr das erklären. Nathanael stellte sich mit grimmiger Miene neben Joel, als müsse er Abstand zu ihr gewinnen.
«Ich … ich werde mit Steven reden», sagte Ernest entschlossen. «Er wird mir sicher das Geld geben. Bitte, helfen Sie meiner Schwester.»
Es rührte sie, wie ihr Stiefbruder sich für sie einsetzte, aber sein Vorschlag war vollkommen inakzeptabel. Das musste sie jetzt klarstellen. Nicht einen Cent würde sie noch von Steven annehmen.
«Danke, Ernest, aber ich ziehe das alleine durch. Ohne Steven. Also, was soll der Schutz kosten und wer will ihn übernehmen? Über den Preis können wir gern verhandeln.» Tessa blickte fragend in die Runde und erntete nur Schweigen. Nathanael kniff die Lippen zusammen. Ernests Blick hingegen richtete sich an Joel.
«Reverend Macombe, für diesen Fall bin ich wirklich nicht geeignet. Ich habe noch nicht viel Erfahrung gesammelt. Ein Gefallener ist eine Nummer zu groß für mich. Es gibt nur einen, bei dem Ihre Schwester sicher wäre …»
«Nein», sagte Nathanael mit fester Stimme.
«Hey Nathanael, warum denn nicht?», bohrte Joel nach.
«Ich habe meine Gründe.»
Seine Absage irritierte und verletzte Tessa. Welche Gründe mochten das sein? Erst gestern hatte er sie vor dem Gefallenen gerettet und heute wehrte er sich, sie zu beschützen? War das eine Art Selbstschutz? Sie wurde aus ihm nicht schlau.
Ihre Kehle schnürte sich zu. Sie wollte ihm entgegenschleudern, dass sie auch ohne seinen Schutz klarkäme. Irgendwie , fügte sie in Gedanken hinzu. Doch Cynthia kam ihr zuvor.
«Was ist mit Daniel oder Aaron?»
Tessa erkannte, wie ihr Bruder sofort neue Hoffnung schöpfte.
Joel schüttelte den Kopf. «Daniel ist heute Morgen abgereist und Aaron ist mit einem anderen Auftrag beschäftigt. Und hat Nathanael nicht noch den speziellen Auftrag …»
«Das tut hier nichts zur Sache. Ich wiederhole mich nur ungern», fuhr Nathanael ihn an und trat drohend einen Schritt auf ihn zu. «Ich will diesen Auftrag nicht. Ich müsste sie … überallhin begleiten ...» Er stockte, als sich ihre Blicke trafen.
Tessa spürte das Prickeln bis in ihre Zehen, als sie das Begehren darin las.
Auch ins Bett? Hatte er das gemeint? Der Gedanke erschien durchaus reizvoll. Sie unterdrückte ein Lächeln. Als er sich abrupt abwandte, erlosch die Wärme in ihrem Innern und sie fröstelte.
«Aber …», begann Joel und verstummte unter dem vernichtenden Blick Nathanaels.
Was bedeuteten Joels Anspielungen zu einem speziellen Auftrag? Angst stieg in Tessa auf, als sie in den Mienen der beiden Blutengel nach einer Antwort suchte. Es musste sehr gefährlich sein und sie sollte nichts davon erfahren.
«Bitte, Ernest, lass es. Du hast es gut gemeint, aber es hat keinen Zweck. Er will uns nicht helfen. Lass uns endlich fahren. Wir werden schon klarkommen.» Der bittere Geschmack in ihrem Mund ließ sich nicht hinunterschlucken.
Tessa würdigte Nathanael keines weiteren Blickes, sondern griff nach Ernests Arm. Als ihr Bruder zögerte, ihr zu folgen, zog sie fester. «Komm, wir vergeuden hier nur unsere Zeit.»
Ernest jedoch wollte sich nicht geschlagen geben und wandte sich an Nathanael. «Ich weiß von Joel, dass Sie in finanziellen Schwierigkeiten stecken und einen Auftrag brauchen können. Nennen Sie meiner Schwester einen Betrag, für den Sie sich engagieren lassen? Fünftausend? Zehntausend?»
Erwartungsvoll richteten sich alle Blicke auf Nathanael.
Er beugte sich vor. «Was wäre, wenn mich das Geld nicht interessiert?»
Die Überraschung stand Ernest ins Gesicht geschrieben. «Aber ...»
Nathanael bedachte ihren Stiefbruder mit einem abweisenden Blick, bevor er sich wieder ihr zuwandte. Es schien, als warte er darauf, dass sie ihn darum bäte, den Auftrag anzunehmen.
«Nathanael, nun nimm schon den Auftrag an. Du brauchst das Geld wirklich», drängte ihn Cynthia.
Er antwortete nicht, sondern sah Tessa forschend an.
Himmel, war er nur stur oder zu stolz, ihren Auftrag anzunehmen, weil sie eine Frau war? Verlangte er von ihr, ihn auf Knien darum zu bitten? Wenn er glaubte, sie würde um seine Hilfe betteln, hatte er sich geschnitten. Entweder nahm er den Auftrag an oder sie musste irgendwie alleine klarkommen. Dabei hätte
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