Nathaniel und Victoria, Band 2: Unter höllischem Schutz (German Edition)
muss dir klar sein.« Sie sprach ruhig und eindringlich.
Ich schluckte. »Er wollte das nie«, flüsterte ich.
»Ich weiß«, sagte Melinda. Ihre blauen Augen sahen mich jetzt voller Mitgefühl an. »Trotzdem kann er nicht verleugnen, was er geworden ist. Irgendwann wird der Dämon in ihm hervorbrechen. Nathaniel hat jetzt eine sehr dunkle Seite, eine Seite, die er vor dir verborgen hält. Du musst dir sicher sein, ob du diese Dunkelheit in deinem Leben willst, bevor du deine Entscheidung triffst.«
Ich starrte Melinda schweigend an. Ich glaubte plötzlich, zu verstehen. »Eine Entscheidung, die Sie ebenfalls einmal treffen mussten?«, fragte ich leise.
Melinda antwortete nicht.
»Sie haben sich gegen ihn entschieden, ist es nicht so?«, flüsterte ich kaum hörbar. »Weil er gefallen und aus der Hölle zurückgekehrt war?«
»Du musst dich fragen«, sagte sie mit harter Stimme, »ob du ein Geschöpf der Hölle in dein Herz lassen willst. Darauf läuft es hinaus.«
»Nathaniel ist mein Herz«, erwiderte ich leise.
Melindas Gesicht zeigte keine Regung. Es war unmöglich zu erraten, was sie dachte.
»Meinen Sie, er hat noch genug Schutzengel in sich, um bei den Erzengeln als Engel zu gelten?«, fragte ich schließlich.
Melinda antwortete eine Zeitlang gar nicht. Ich hatte das Gefühl, dass sie in Gedanken sehr weit weg war.
»Ich weiß es nicht«, sagte sie schließlich und lehnte sich in ihrem Stuhl zurück. »Wir sprechen hier von deiner Sicherheit, oder?«
Ich nickte. »Er sorgt sich um meine Seele.«
Ein seltsamer Ausdruck trat in ihre Augen. »Natürlich tut er das«, sagte sie sanft.
»Also … glauben Sie, dass …?«
»Ich kann ein wenig nachforschen. Vielleicht gibt es etwas in unseren Archiven.«
»Oder es gab bisher gar keinen Fall wie unseren?«, murmelte ich schwach.
»Nach allem, was ich weiß, könnte das durchaus möglich sein«, erwiderte Melinda trocken.
»Sie wollen, dass ich mich von ihm fernhalte, oder?«
Sie hob die Schultern. »Was ich will, ist irrelevant. Es ist deine Entscheidung. Deine Seele.«
Ich schwieg und starrte auf meine Finger.
»Übrigens, hier ist die Chronik, auf die wir gewartet haben«, sagte sie mit geschäftsmäßigem Ton. Sie öffnete die große Mappe, die auf ihrem Tisch lag.
Darin lag altes, handbeschriebenes Papier, vergilbt und brüchig. Ich kniff die Augen zusammen. »Ist das Latein?«
Melinda nickte. »Mein römischer Kollege hat es mir geschickt. Es ist die Chronik von Lazarus und seinem Schützling.«
Ich richtete mich gespannt in meinem Stuhl auf. »Ihr Name war Alexandra, nicht wahr?«
Melindas Blick flog über das alte Papier. »Das ist richtig. Hier steht, dass Lazarus ihretwegen gefallen ist.«
»Was ist passiert?«, flüsterte ich.
»Alexandra hat ihn erkannt«, sagte Melinda. »Sie haben sich wohl verliebt.« Sie hob den Kopf und blickte mich an. »Nicht unähnlich eurer Geschichte.«
Ich hielt den Atem an. »Lazarus hat sich in seinen Schützling verliebt?«
»Es sieht so aus.« Melinda betrachtete weiter das Pergament. »Offenbar hat Lazarus die Erzengel angefleht, ihn zu einem Erdengänger zu machen, aber die Erzengel haben seine Bitte abgelehnt.«
»Aus welchem Grund?«, fragte ich entsetzt.
Melinda zuckte mit den Schultern. »Vielleicht hatten sie keine Verwendung für ihn? Sie sind gemeinsam geflohen und Lazarus ist wegen einer Unverzeihlichen Tat gefallen. Wenig später hat sich Alexandra das Leben genommen.«
Ich sank in meinen Stuhl zurück.
»Lazarus ist gefallen, weil er eine Sterbliche geliebt und beschützt hat? Warum um alles in der Welt bringt er dann jetzt Schutzengel zu Fall, die in einer ähnlichen Situation sind?«
Melinda schob die Mappe von sich fort. »Unsere Chroniken sind nicht vollständig. Sie behandeln immer nur unsere Seite der Geschichte, aus der Sicht der Engel. Vielleicht kann dein Dämon dir mehr Informationen von der anderen Seite beschaffen.«
»Melinda meinte, du solltest dich von mir fernhalten?«, fragte Nathaniel, als wir auf dem Heimweg waren.
Ich biss mir auf die Unterlippe. »Sie versteht dich nicht …«
»Ich glaube, sie versteht mich zu gut«, widersprach er sanft.
Ich konnte das traurige Lächeln in seiner Stimme hören. Er schwang sich ohne ein weiteres Wort über meinen Wagen in die Luft.
Als ich wenig später die Wohnung betrat, stolperte ich beinahe über meine Reisetasche, die noch immer im Vorzimmer stand. Rita kam mir aus dem Wohnzimmer entgegen, wo ich Ludwig telefonieren
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