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Nathaniels Seele

Titel: Nathaniels Seele Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Britta Strauß
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endete dieser Versuch?“
    „Ohne Ergebnis. Der Kerl hatte keine Ahnung von Exorzismus. Er war am Boden zerstört, als ich begann, wild herumzuzucken. Du hättest ihn sehen sollen. Er stand vor dem Bett, hielt sein protziges Plastikkreuz aus China in der Hand, murmelte Beschwörungsformeln und ließ sich von dramatischer Filmmusik begleiten.“
    „Das war nicht euer Ernst?“
    „Natürlich nicht.“
    „Aber du hast gezuckt.“
    „Weil ich den Lachkrampf meines Lebens bekam.“
    „Wie herrlich.“ Jeremy verschränkte die Arme hinter seinem Kopf und gluckste. Doch plötzlich senkte sich der Ernst auf sein Gesicht. So unvermittelt, wie eine dunkle Wolke die Sonne verdeckte, verschwand das helle Strahlen aus seinen Augen. „Du sehnst dich immer noch nach Frieden, oder? Du vermisst deine Familie?“
    „Es geht mir gut.“ Nathaniel lauschte auf das Klopfen seines Herzens. Jeder Schlag ließ Hunger durch seine Materie strömen. Sehnsucht. Begehren. Süßer, vor Lebendigkeit berstender Schmerz. „Es ging mir nie besser.“
    Jeremys Gesichtszüge entgleisten. „Wie meinst du das? Ich dachte …“
    „Ich weiß, was du dachtest.“ Er nahm einen weiteren Schluck Kaffee und befand, dass er niemals besseren getrunken hatte. „Aber mein Leben hat sich verändert. Da ist diese Frau, von der ich dir vorhin erzählt habe. Sie hat mir das Leben zurückgegeben. Ich fühle mich fantastisch.“
    „Aha. Und was ist mit deinem Fluch?“ Jeremy ließ die Schultern hängen, als laste plötzlich ein schweres Gewicht auf ihnen. Nathaniel hätte gern einen Blick in den Geist seines Zöglings geworfen, um dieser Veränderung auf den Zahn zu fühlen, doch erstens widersprach es seinen Prinzipien, diesen Jungen mental auszuspionieren, und zweitens war Jeremy ein Eingeweihter, der wusste, wie sich solch ein geistiges Eindringen anfühlte.
    „Meine Aufgabe … ja, manchmal habe ich sie so was von satt. Ich weiß, dass sie wichtig ist, aber wem bereitet es schon Freude, herumgeschoben zu werden wie eine Schachfigur? Geh hierhin, geh dorthin. Mach dies und das. Spätestens nach hundert Jahren kotzt es einen an.“
    Jeremy nickte. Eine junge Frau erschien, stellte ihm einen riesigen Becher russische Schokolade auf den Tisch und warf Nathaniel ein laszives Lächeln zu. Als das Mädchen davoneilte, schwangen ihre Hüften auf verlockende Weise hin und her. Früher hätte er der Einladung vermutlich nachgegeben, aber jetzt war sie ihm vollkommen gleichgültig.
    „Die Frauen lieben dich.“ Der Junge rührte in seinem Becher herum, versunken in Gedanken, die für Nathaniel ein Rätsel blieben. „Ich sag’s ja, sie stehen auf alte Knacker. Zumindest, wenn sie deinen Körper haben.“
    „Lass das.“ Er winkte unwirsch ab. „Was ist mit dir? Du weißt, dass du mit mir über alles reden kannst. Über ausnahmslos alles.“
    Jeremy blickte auf, als sei er aus einem Traum aufgewacht. „Sag mal“, murmelte er geistesabwesend, „hat dein Freund von damals nicht verlangt, dass du seine Patienten mit deinen magischen Kräften heilst?“
    „Wie kommst du denn jetzt darauf?“
    „Sag’s mir einfach.“
    Nathaniel seufzte. „Unter seiner Leitung gab es eine überdurchschnittlich hohe Erfolgsrate. Natürlich konnte ich nicht herumspazieren und alle Todkranken heilen. Ich habe eher subtile Hilfe geleistet. Die Selbstheilungskräfte des menschlichen Körpers sind größer als man denkt, aber erstens weiß das heute kaum noch jemand und zweitens werden diese Kräfte durch haufenweise Chemie blockiert, die man den Kranken in die Adern jagt.“
    „Klar. Mit Menschen, die sich selbst heilen, lässt sich kein Geld verdienen. Ich frage mich gerade, ob Absá Ansprüche auf ein Kind erheben würde, das von dir abstammt.“
    „Wohl eher nicht. Was glaubst du, warum sie so lange nach einem Nachfolger gesucht hat?“
    „Weil er erstens über bemerkenswerte innere Stärke verfügen musste.“ Das Funkeln kehrte langsam in Jeremys Augen zurück. „Er musste selbstlos genug sein, um großer Macht zu widerstehen. Zweitens muss er Absás hohe Ansprüche an das Äußere erfüllen. Eine denkbar schwierige Konstellation. Innere und äußere Schönheit. Wobei ich mich frage, ob Letzteres sein muss. Das macht alles sehr viel schwerer. Obwohl, nein. Ich verstehe sie. Immerhin wird der Auserwählte für Jahrhunderte das Gefäß ihres Geliebten. Da will man schon was Nettes unter den Griffeln.“
    „Warum erlaubt sie mir dann, dass ich Josephine nahekomme?“

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