Nathaniels Seele
„Nat, bitte. Tu es nicht.“
Er reagierte nicht. Unnachgiebig hielt er den Arm seines Opfers in festem Griff, drückte zu, bis seine Knöchel weiß hervortraten und pure Todesangst Hazlewoods Gesicht verzerrte. Der Geruch nach verbranntem Fleisch breitete sich aus. Eine solche Qual stand in den Augen des Mannes, dass sie jede Abscheu durchdrang und Josephine darum flehen ließ, dass es endete.
„Bitte“, flüsterte sie verzweifelt. „Hör auf, Nat. Bitte.“
Endlich wich er mit einem wütenden Knurren zurück. Die Haut auf Hazlewoods Arm schien Blasen zu werfen. Glänzte roh und verbrannt. Wimmernd taumelte er in Richtung Stallausgang. Er schüttelte den Kopf, wieder und wieder, beglotzte seine Wunden und stammelte unverständliche Worte. Ein letzter fassungsloser Blick, zuerst Nathaniel streifend, dann sie – und Hazlewood stürmte davon. Keine fünf Sekunden später erklang das Aufröhren seines Jeeps.
„Was hast du getan?“, brachte Josephine hervor, als Stille sich über sie senkte. „Was war das?“
Nathaniel stand mit dem Rücken zu ihr. Langsam senkte er den Kopf, ließ sich gegen die Wand von Max’ Box sinken und presste eine Hand auf seine Seite. Augenblicklich vergaß sie die Fragen, die auf ihrer Zunge brannten. Sie hatte sich nicht getäuscht. Der Pfeil musste ihn erwischt haben. Vielleicht war die Verletzung so schwer, dass die Hilfe, die sie ihm hier am Ende der Welt geben konnte, nicht ausreichen würde.
„Zeig es mir“, forderte sie energisch, packte ihn an den Schultern und drehte ihn um. „Lass mich nachsehen. Er hat dich erwischt, oder? Warum hast du den Köcher da stehen gelassen?“
„Es ist nichts.“ Nathaniel drückte ihre Arme nach unten und funkelte sie aus düsteren Kohleaugen an. „Glaub mir, es ist nichts. Wieso machst du dir Sorgen um mich? Du bist diejenige, die gerade Schlimmes erlebt hat. Wie geht es dir?“
Josephine schüttelte den Kopf. Die vergangenen Momente muteten jetzt, da sie darüber nachsann, surreal an. „Nichts. Schon gut. Wirklich.“
„Hat er dich verletzt?“
„Nein. Und ich habe etwas daraus gelernt. Gehe niemals ohne Ausweidmesser aus dem Haus.“
„Ich sagte es ja.“ Nathaniel lächelte liebevoll. „Du bist stärker als du denkst.“
„Was ist mit dir? Er hat dich erwischt, oder? Ich sehe Blut. Da unten auf deinem Hemd.“
„Es ist nichts.“
„Ich habe gesehen, wie …“
Nathaniel legte einen Finger auf Josephines Lippen. Diese Berührung genügte, um sie zu lähmen. Doch eine Sturheit, die sich über alles hinwegsetzte, dirigierte ihre Hand nach unten. Sie ertastete das Loch im Leder seines Hemdes. Und sie ertastete feuchte, aber unversehrte Haut.
„Hör auf damit.“
Blitzschnell legte sich seine Hand über die ihre und schob sie tiefer. So tief, bis sie auf der Stelle zum Ruhen kam, an der die Beinlinge endeten und ein Stück nackten Schenkels freiließen. Josephine hielt den Atem an. Ihre Hand schmiegte sich an seine warme, glatte Haut, glitt ein Stück höher und spürte, wie der Muskel sich unter ihren Fingern anspannte. Die Luft knisterte. Es war nicht nur ein Gefühl, eine Metapher für das, was sie empfand. Es war ein Knistern, das wie Strom über ihre Haut floss. Spürbar. Real.
„Danke“, keuchte sie. „Danke, dass du gekommen bist.“
„Keine Ursache.“
„Wie hast du geschafft, zum richtigen Zeitpunkt hier zu sein?“
„Du meinst, das funktioniert sonst nur in einschlägigen Filmen?“ Sein Lächeln gab ihr das Gefühl, als hätte niemals Gefahr für sie bestanden. „Ich habe naturgemäß einen Sinn für richtige Zeitpunkte. Glaubst du mir, wenn ich sage, dass deine Angst mich im Wald erreicht und hierhergeführt hat? Glücklicherweise war ich noch nicht weit gekommen.“
„Du hast es gespürt?“
„Ja.“
„Ist das so eine Art Indianermagie?“
Nathaniel lachte. Plötzlich schien er etwas zu entdecken, schnappte nach ihrer Hand und zog sie hoch. Ein hässlicher Splitter ragte aus der Kuppe ihres Mittelfingers. Die gesamte Innenfläche ihrer Hand war mit Blut verkrustet.
„Tut es weh?“ Nathaniel packte den Splitter vorsichtig und zog ihn heraus. Obwohl das Stück Holz tief im Finger gesteckt hatte, verspürte sie keinerlei Schmerz.
„Nein“, murmelte Josephine verblüfft. „Das wird auch langsam zur Gewohnheit, hm?“
Er neigte den Kopf. „Was meinst du?“
„Dass du mich mit wundersamen Heilkräften verwirrst.“ Seine Hand hatte sich um ihre zusammengeschlossen. Warmes Prickeln
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