"Natürlich kann geschossen werden": Eine kurze Geschichte der Roten Armee Fraktion - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition)
»menschen, die sich weigern den kampf zu beenden, können nicht unterdrückt werden. sie gewinnen entweder oder sie sterben, anstatt zu verlieren und zu sterben.«
Rund vierzig Gefangene beteiligten sich an dem Hungerstreik, doch zeigten sich deutliche Risse in der Gruppe. Manche brachen den Hungerstreik ab. Horst Mahler hatte schon zuvor die RAF öffentlich kritisiert. Seine einstige Referendarin Monika Berberich gab daraufhin den Ausschluss des RAF-Gründervaters bekannt. Dass Problem mit Mahler sei, »dass er ein dreckiger, bürgerlicher chauvinist geblieben ist«. Er sei von Anfang an »nur ein bürgerliches wrack« gewesen.
»es werden typen dabei kaputtgehen«, hatte Baader vor Beginn des Hungerstreiks angekündigt. Er stellte allerdings sicher, dass er nicht dazugehören würde, und ließ sich gelegentlich von einem Verteidiger ein Brathähnchen mitbringen. Auch Ensslin und Meinhof aßen immer wieder. Gleichzeitig übermittelten Anwälte Baader das Gewicht der Hungernden, und er setzte diejenigen unter Druck, deren Gewichtskurven ihm zu langsam sanken.
Die Länderjustizminister und Bundesjustizminister Hans-Jochen Vogel reagierten auf den Streik mit der Anweisung zur Zwangsernährung. Die Gefangenen wurden festgeschnallt, man stieß ihnen einen Schlauch durch den Mund in den Magen und verabreichte ihnen Flüssignahrung. Manche Gefangene wehrten sich heftig gegen diese Tortur. Der CSU-Politiker Richard Stücklen fragte, »ob es dem Steuerzahler zugemutet werden kann, dass der Staat für die künstliche Ernährung selbst verschuldet leidender Staatsfeinde riesige Summen ausgibt«.
Als der Hungerstreik in die siebte Woche ging, besetzten in Hamburg 32 Aktivisten von »Anti-Folter-Komitees« aus der ganzen Republik die Zentrale von Amnesty International, um gegen die »Vernichtungshaft« zu protestieren. Bei der Räumung unterließ es die Polizei, die Personalien aller Besetzer festzustellen. So wurde erst viel später klar, dass zumindest folgende künftige Illegale der RAF darunter waren: Knut Folkerts, Ralf Friedrich, Wolfgang Grams, Monika Helbing, Christian Klar, Roland Mayer, Adelheid Schulz, Günter Sonnenberg, Volker Speitel, Willy Peter Stoll und Lutz Taufer.
Einen Tag nach der Amnesty-Besetzung schrieb Holger Meins einen Brief an einen RAF-Genossen, der beispielhaft das Schwarz-Weiß-Denken der RAF offenbarte: »entweder schwein oder mensch, entweder überleben um jeden preis oder kampf bis zum tod, entweder problem oder lösung, dazwischen gibt es nichts. (…) es stirbt allerdings ein jeder. frage ist nur, wie und wie du gelebt hast; und die sache ist ja ganz klar: kämpfend gegen die schweine als mensch für die befreiung des menschen: revolutionär, im kampf - bei aller liebe zum leben: den tod verachtend. das ist für mich: dem volk dienen - raf«. 6
Eine Woche später bat Meins seinen Anwalt Siegfried Haag, ihn baldmöglichst zu besuchen. Als Haag am nächsten Tag im Gefängnis in Wittlich ankam, traf er auf einen Mann, der bei einer Körpergröße von 1 Meter 83 noch 39 Kilo wog. Meins war so geschwächt, dass er auf einer Trage ins Sprechzimmer getragen werden musste und nur noch flüstern konnte. Der Gefängnisarzt hatte ihm bei der Zwangsernährung schon eine Weile nur ein Drittel der überlebensnotwendigen Kalorienmenge verabreichen lassen und hatte sich ins verlängerte Wochenende verabschiedet. Die Hinzuziehung eines externen Arztes hatte der für die Haftbedingungen zuständige Richter Theodor Prinzing abgelehnt. Eine Stunde nachdem Haag seinen Mandanten verlassen hatte, war dieser tot. Meins wurde 33 Jahre alt. Zuvor hatte er geschrieben: »für den fall, dass ich in der haft vom leben in den tod komme, war’s mord - gleich was die schweine behaupten werden.« Auf einer Pressekonferenz schlug Otto Schily in die gleiche Kerbe. Der Anwalt sagte, »dass die im Hungerstreik befindlichen Gefangenen in Raten hingerichtet werden«.
Stefan Wisniewski - Sohn eines polnischen Zwangsarbeiters, der in Nazideutschland fünf Jahre Lagerhaft überlebt hatte - gehörte in West-Berlin zu den Unterstützern des Hungerstreiks. Er stand gerade in einem Jugendzentrum auf einem Tisch und hielt eine Rede. »In dem Moment«, erinnerte sich Wisniewski später, »kam jemand rein und sagte: Der Holger ist tot. Mir - und nicht nur mir - sind die Tränen in die Augen geschossen.« Die Beerdigung von Holger Meins mit zu organisieren sei für ihn »die letzte legale politische Tätigkeit«
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