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"Natürlich kann geschossen werden": Eine kurze Geschichte der Roten Armee Fraktion - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition)

"Natürlich kann geschossen werden": Eine kurze Geschichte der Roten Armee Fraktion - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition)

Titel: "Natürlich kann geschossen werden": Eine kurze Geschichte der Roten Armee Fraktion - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Sontheimer
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war Christian Klar. Er war noch nicht lange bei der RAF, aber war sehr eifrig und wollte sich bei einer Aktion bewähren.

    Die Gruppe hatte vergessen, Perücken zu besorgen, und musste dies noch schnell erledigen. Das Quartett traf deshalb um vierzig Minuten verspätet in Oberursel ein. Alle waren bewaffnet, aber Susanne Albrecht, so sagte sie später aus, hatte kurz vor der Abfahrt auf der Toilette klammheimlich die Patronen aus ihrem silberfarbenen Revolver genommen. 9 Sie wollten Ponto bedrohen und zum Mitkommen zwingen. In der Nähe stand ein VW-Bus bereit, mit dem sie den Bankier in die konspirative Wohnung in Raunheim transportieren wollten. Dort war eine fensterlose Kammer als Zelle vorbereitet. Für das Kommando galt die Devise: unter keinen Umständen schießen.

    Albrecht meldete sich an der Gegensprechanlage mit den Worten: »Hier ist Susanne.« Der Fahrer und Hausverwalter öffnete nach Rückfrage bei den Pontos, die auf der Terrasse Tee tranken, das Tor. Er berichtete, dass Albrecht offensichtlich zusammen mit »zwei Herrschaften« komme. Als Frau Ponto fragte, wie diese den aussähen, sagte er: »Sehr manierlich.« Mohnhaupt trug ein elegantes gelbes Kostüm; Klar einen grauen Feincordanzug und ein weißes Hemd mit Krawatte; Albrecht einen braunen Rock und eine geblümte Bluse. Sie überreichte ihrem »Onkel Jürgen« in dessen Arbeitszimmer einen Strauß Heckenrosen. Klar zog seine Pistole und sagte Ponto, er werde jetzt entführt und solle widerstandslos mitkommen. Ponto antwortete erschrocken: »Sind Sie wahnsinnig geworden?«

    Der von der RAF ermordete Vorstandsvorsitzende der Dresdner Bank Jürgen Ponto.

    Als der Bankier abwehrend seine Hände hob und einen Schritt auf Mohnhaupt zuging, verlor Klar die Nerven und schoss. Mohnhaupt drückte jetzt ebenfalls ab. Ponto wurde fünfmal getroffen, dreimal in den Kopf. 10

    Das Trio rannte in Panik aus dem Haus und sprang in den Fluchtwagen. Sie ließen den VW-Bus stehen und fuhren gleich zur konspirativen Wohnung nach Raunheim. Albrecht war von Weinkrämpfen geschüttelt; Boock brüllte Klar an: »Wie konntest du nur anfangen zu schießen!« Klar hatte bei seiner ersten Aktion versagt. Noch am gleichen Abend gab das Kommando die Wohnung auf. Sie schoben das spärliche Mobiliar auf einen großen Haufen und gossen reichlich Spülmittel darüber, in der Hoffnung, so Spuren zu beseitigen.

    Sollten sie eingestehen, dass sie den Bankier eigentlich entführen wollten? Nein, entschied Brigitte Mohnhaupt, das wäre rufschädigend für die RAF. Sie schrieb eine Erklärung, in der es hieß, »dass diese typen, die in der dritten welt kriege auslösen und völker ausrotten, vor der gewalt, wenn sie ihnen im eigenen haus gegenübertritt, fassungslos stehen«. Es ging darum, das Neue gegen das Alte zu stellen, und das hieße: »den kampf für den es keine gefängnisse gibt, gegen das universum der kohle, in dem alles gefängnis ist.« 11 Susanne Albrecht wurde dazu gebracht, die Erklärung zu unterschreiben - ein einmaliger Vorgang in der Geschichte der RAF, deren Mitglieder sich sonst hinter dem Kollektiv verbargen.

    Mit der hinterhältigen Ausnutzung der Gastfreundschaft, mit diesem Zivilisationsbruch, hatte die RAF einen Mindeststandard von Menschlichkeit und Moral aufgegeben. Der Ponto-Mord gilt deshalb heute auch ehemaligen Akteuren der zweiten RAF-Generation als Sündenfall. Offiziell hat sich die RAF nie selbstkritisch geäußert, doch Sigrid Sternebeck, die zusammen mit Albrecht in den Untergrund gegangen war, sagte aus: »Später einmal in Paris 1978 hat Brigitte Mohnhaupt in einem Gespräch mit mir zugegeben, dass es falsch war, bei der Aktion Ponto Susanne Albecht als ›Türöffner‹ zu benutzen.« 12

    Zwar übernahm auch die Bundesanwaltschaft, um die RAF-Mitglieder einfacher anklagen zu können, die Fiktion der RAF als demokratischem Kollektiv, doch in Wahrheit herrschte unter dem Druck der Illegalität eine harte Hierarchie. »Man wurde in diesen Diskussionen eigentlich menschlich zur Null gemacht«, sagte Susanne Albrecht aus. 13 »Ich fühlte mich innerlich so unwohl und so, ich weiß auch nicht. So als Nichts letztlich.« Sie sei es nicht gewohnt gewesen, dass immer zu ihr gesagt würde: »Na, was bist du eigentlich, was willst du eigentlich?« Bald traute sie sich nicht mehr, den Kadern zu widersprechen. Sigrid Sternbeck sagte aus: »Das mit der Gleichberechtigung war ein Anspruch, den sich die RAF gesetzt hatte und den alle gut fanden. Nur

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