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"Natürlich kann geschossen werden": Eine kurze Geschichte der Roten Armee Fraktion - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition)

"Natürlich kann geschossen werden": Eine kurze Geschichte der Roten Armee Fraktion - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition)

Titel: "Natürlich kann geschossen werden": Eine kurze Geschichte der Roten Armee Fraktion - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Sontheimer
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Luftmatratzen auf dem Fußboden. Ansonsten war der Raum in der sechsten Etage eines Hochhauses bis auf ein Radio und eine Lampe leer. Die Stammheimer hatten erneut mit Selbstmord gedroht, wenn die Aktionen für ihre Befreiung nicht bald anlaufen würden. Mohnhaupt gehörte nicht zum Kommando, da sie sich bei der Anreise aus Süddeutschland verspätet hatte. Rolf Heißler meldete Bedenken gegen das Erschießen von Schleyers Begleitern an. Man solle sich mehr Zeit lassen, argumentierte er, und nach einer Möglichkeit suchen, Schleyer unblutig zu entführen. Er konnte sich nicht durchsetzen; an seine Stelle im Kommando trat Boock. Der sagte später bei einer Vernehmung, die Atmosphäre sei »gespenstisch« gewesen: »Alle Beteiligten waren sich der Ungeheuerlichkeit des von uns Geplanten bewusst.« 5 Als Boock gegenüber Genossen 1979 diese »Mitternachtsdiskussion« als »unsere Wannseekonferenz« bezeichnete, wollte ihn ein Genosse verprügeln.

    Das Entführungskommando bestand nun aus Peter-Jürgen Boock, Sieglinde Hofmann, Willy Peter Stoll und Stefan Wisniewski. Letzterer hatte als dienstältester Illegaler die Führung des Kommandos. Sie besprachen alle Einzelheiten und Eventualitäten. Auf Packpapier skizzierten sie den vorgesehenen Entführungsort und spielten mit Zigarettenschachteln als Autos verschiedene Szenarien durch.

    Am Nachmittag des nächsten Tages observierten Angelika Speitel und Adelheid Schulz den Sitz des Arbeitgeberverbandes. Als Schleyer und seine Begleiter gegen 17 Uhr 10 losfuhren, riefen sie in einem Café an, in dem das Kommando wartete, und gaben die Parole für den Start der Aktion durch: »Mendocino«. Jetzt fuhr Stefan Wisniewski einen gelben Mercedes in eine Einfahrt in der Vincenz-Statz-Straße. Boock, Hofmann und Stoll postierten sich gegenüber auf dem Bürgersteig. Die auffälligen Gewehre transportierten sie in einem Kinderwagen versteckt. Als der Wagen mit Schleyer und das Begleitfahrzeug in die Einbahnstraße einbogen, stoppte Wisniewski sie, indem er mit seinem Daimler schnell auf die Straße zurücksetzte. Schleyers Fahrer bremste so scharf, dass das Begleitfahrzeug mit den drei Polizisten auf seinen Wagen auffuhr.

    Dies ist der Moment, in dem das Inferno losbricht. Die vier RAF-Kader schießen aus allen Rohren. Stoll springt, entgegen allen Absprachen, auf die Motorhaube des Begleitfahrzeugs und schießt so lange mit einer polnischen Maschinenpistole Makarov in das Innere, bis das Magazin leer ist. Die Schießerei dauert etwa neunzig Sekunden. Es fallen mehr als hundert Schüsse. Wisniewski und Hofmann ziehen den auf wundersame Weise unverletzten Schleyer aus dem Wagen und bringen ihn in einen VW-Bus, den sie an der nächsten Ecke abgestellt haben. Boock rast mit dem Bully teilweise auf dem Bürgersteig entlang und entkommt so mehreren Autos, die ihnen folgen. Hofmann, eine ehemalige Medizinstudentin, spritzt Schleyer ein Betäubungsmittel. Er bleibt bei Bewusstsein, aber ist stark benommen.

    Die Kommandomitglieder fahren in die nahe gelegene Tiefgarage des Wohnkomplexes, in dem sie die Entführung in der Nacht zuvor geplant hatten. Aber sie steigen nur schnell in einen Daimler um. Damit Schleyer, den sie in den Kofferraum stecken, nicht zu fliehen versucht, legt sich Wisniewski zu ihm. In dem abgestellten VW-Bus hinterlassen sie ihre erste Botschaft: »an die bundesregierung: sie werden dafür sorgen, dass alle öffentlichen fahndungsmaßnahmen unterbleiben - oder wir erschießen schleyer sofort, ohne dass es zu verhandlungen über seine freilassung kommt. raf« 6

    Die nächste Station der Entführer ist die Tiefgarage des fünfzehngeschossigen Neubaukomplexes Am Renngraben 8 in Erftstadt-Liblar gut zwanzig Kilometer südwestlich des Kölner Stadtzentrums. Erst spät nachts, als es ganz ruhig ist im Haus, führen sie Schleyer in die Wohnung in der dritten Etage, die für seine Gefangenschaft vorbereitet ist. Ein großer Einbauschrank ist mit dickem Schaumstoff ausgekleidet, in seinem Inneren ist eine Kette angebracht.

    Als Schleyer in seinem Gefängnis ankommt, hat Bundeskanzler Helmut Schmidt sich bereits mit einer Fernsehansprache an die Öffentlichkeit gewandt. »Während ich hier spreche«, sagt er in der von ARD und ZDF ausgestrahlten Rede, »hören irgendwo sicher auch die schuldigen Täter zu. Sie mögen in diesem Augenblick ein triumphierendes Machtgefühl empfinden. Aber sie sollen sich nicht täuschen.« Der Terrorismus, erklärt der Kanzler, habe auf die

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