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"Natürlich kann geschossen werden": Eine kurze Geschichte der Roten Armee Fraktion - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition)

"Natürlich kann geschossen werden": Eine kurze Geschichte der Roten Armee Fraktion - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition)

Titel: "Natürlich kann geschossen werden": Eine kurze Geschichte der Roten Armee Fraktion - Ein SPIEGEL-Buch (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Sontheimer
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führten alle Aussteiger als Inoffizielle Mitarbeiter und gaben ihnen Tarnnamen, die alle den Familiennamen »Berger« hatten. Den Bericht »Über die durchgeführte Legalisierung von ehemaligen Kämpfern der RAF« zeichneten Erich Mielke ab und sein Stellvertreter Gerhard Neiber.

    Die Stasi-Offiziere führten die aktiven Illegalen der RAF unter »Stern I«, die Aussteiger unter »Stern II«. Ihre Haltung zur Terroristentruppe aus der Bundesrepublik war ausgesprochen widersprüchlich. Einerseits betonten sie stets, dass sie die Strategie des bewaffneten Kampfes in der Bundsrepublik für falsch hielten. Sie versuchten auch führende Illegale in intensiven Diskussionen zur Aufgabe zu überreden. Andererseits räumten die Stasi-Offiziere ein, dass die RAF und die DDR denselben Feind hätten. MfS-Männer bildeten gar sieben aktive RAF-Mitglieder aus, in Sprengstofftechnik und an Waffen bis hin zur sowjetischen Panzerfaust »RPG-7«. Als makabren Höhepunkt eines sechswöchigen Terroristentrainings organisierten die Stasi-Ausbilder eine alte Mercedes-Limousine, drapierten auf den Sitzen vier große Stoffpuppen und leinten im Fond einen Schäferhund an - dann kam das Kommando: Feuer frei! Der Daimler wurde nicht vollständig zerstört; der Hund aber war tödlich verletzt. Einer der Stasi-Ausbilder gab ihm den Gnadenschuss.

    Die Bundesanwälte konnten nicht aufklären, wann das Training stattgefunden hatte - schon im Frühjahr 1981 oder erst Anfang des Jahres 1982. Mit einer Panzerfaust »RPG-7« hatte nämlich ein Kommando mit Christian Klar und drei weiteren RAF-Kadern am 15. September 1981 in Heidelberg auf die gepanzerte Daimler-Limousine des US-amerikanischen Generals Frederick Kroesen geschossen. Ein Übungsschießen vor diesem Anschlag hätte eine Anklage wegen Beihilfe zum versuchen Mord für die Stasi-Offiziere nach sich ziehen können.

    RAF-Aussteigerin Susanne Albrecht, ganz rechts, als Englischlehrerin Ingrid Jäger im Kreise von Kolleginnen in Köthen in der DDR, um 1982.

    Während sich die Aussteiger im Arbeiter- und Bauernstaat einlebten, veröffentlichte die RAF im Mai 1982 zum ersten Mal seit den von Ulrike Meinhof zehn Jahre zuvor verfassten programmatischen Schriften wieder ein längeres Papier, Titel: »Guerilla, Widerstand und antiimperialistische Front«. »Wir haben 1977 Fehler gemacht«, hieß es darin, »und die Offensive wurde zu unserer härtesten Niederlage.« Zwar wurde die Entführung der »Landshut« durch verbündete Palästinenser kritisiert, doch es war peinlicher Selbstbetrug, wenn RAF-Kader zum Deutschen Herbst erklärten, »dass wir stärker als vorher daraus hervorgekommen sind«. Es sei jetzt »möglich und notwendig«, so die Devise, »einen neuen Abschnitt in der revolutionären Strategie im imperialistischen Zentrum zu entfalten.« 5

    Daraus wurde nichts. Statt neuem Schwung zeigten sich ernste Auflösungserscheinungen. Verena Becker gehörte zu den Veteraninnen der Gruppe. Zusammen mit ihrer Freundin Inge Viett war sie Anfang der 1970er Jahre nachts durch West-Berlin gezogen, hatte die Schaufenster von Geschäften für Brautkleider verwüstet und die Scheiben von Sexshops eingeworfen. Die kompromisslosen Feministinnen hinterließen Aufkleber mit der Botschaft: »Die schwarze Brau kommt.«

    Becker brachte Viett mit Bommi Baumann und einem zweiten Mann der Bewegung 2. Juni zusammen, die sie prompt für den Untergrund rekrutierten. »Plötzlich entdecke ich«, so schrieb Inge Viett später über Becker, »hinter dem veschmitzten Mädchengesicht eine entschlossene junge Frau.« Doch schon die erste größere Aktion der beiden ging schief. Nachdem am Bloody Sunday im Januar 1972 britische Soldaten in Derry 13 katholische Demonstranten erschossen hatten, beschloss die Gruppe, im britischen Jachtclub in West-Berlin eine Bombe zu legen. Diese zündete nicht, aber ein deutscher Bootsbauer, der den Sprengsatz fand, wurde getötet, als er ihn versehentlich zur Explosion brachte. Becker wurde verhaftet und zu sechs Jahren Jugendhaft verurteilt. Bommi Baumann gab bei der Stasi über sie zu Protokoll: »Ist sehr sensibel und schüchtern, aber auch militant.«

    Verena Becker nach ihrer Verurteilung wegen Mordversuchs in Stuttgart-Stammheim, Dezember 1977.

    Zum zweiten Mal verurteilt wurde Becker im Dezember 1977. Das Oberlandesgericht Stuttgart verurteilte sie zu lebenslang, wegen sechsfachen Mordversuchs bei der Schießerei in Singen, die ihrer Festnahme vorausgegangenen war. In

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