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Natürliche Selektion (German Edition)

Natürliche Selektion (German Edition)

Titel: Natürliche Selektion (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H. J. Anderegg
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diese Hütte, und überlassen sie unsern Kollegen vom Drogendezernat.«
    Leo ging das plötzlich viel zu schnell. Irgendetwas stimmte nicht mit diesem Gebäude. Schon möglich, dass es als Umschlagplatz für harte Drogen benutzt wurde. Möglich auch, dass die Geschäftsleitung tatsächlich nichts davon wusste. Wovor aber hatte der Direktor solche Angst, dass seine Hand beim Öffnen des Tors zitterte? Sie übersahen etwas Entscheidendes. Das fehlende Kokain lenkte sie alle zu sehr ab, da war sie sich sicher. Sie wollte den Inspektor zurückhalten, doch der hatte seine Truppe bereits auf den Sammelplatz befohlen und stapfte mit Riesenschritten davon.
    Sie blieb unbemerkt in der Nähe des Lagers, wartete, bis Polizei und Angestellte außer Sichtweite waren, dann ging sie zum Tor zurück. Sie hatte die Eingabe des Zahlencodes gut beobachtet. Das Tor sprang beim ersten Versuch auf. Sie ließ die Leuchtröhren wieder aufflammen. Ihre Schritte dröhnten förmlich durch die Halle. Sonst vernahm sie nur das gleichförmige, tiefe Brummen, das ihr schon zuvor aufgefallen war. Die Klimaanlage, wahrscheinlich. Sie schaute zur Decke hoch, sah die dicken Rohre und Lüftungsgitter und blieb plötzlich verwundert stehen. Woher kam der Luftstrom? Sie hatte im ganzen Lager keine Zuführung bemerkt. Die Rohre endeten einfach an der Rückwand, als hätte man sie eingemauert. Sie erinnerte sich genau, dass sich auch außen am Gebäude keine Installationen befanden. Nichts, was auf einen Maschinenraum oder Ähnliches hindeutete. In Gedanken versunken betrachtete sie die kahle Betonwand, an deren Fuß sich ein weiteres Regal schmiegte. Es wirkte federleicht im Vergleich zu den andern Gestellen. Je länger sie hinschaute, desto seltsamer erschien ihr diese Einrichtung. Sie hatte den Eindruck, das Regal gehörte nicht hierher. Es passte nicht ins Muster des Lagers.
    Sie trat neugierig näher, las die Aufschriften an den dicken, braunen Glasflaschen, und wunderte sich noch mehr. Äthanol denaturiert 96,5%, Methanol, Propylalkohol. Ganze Fässer dieser Chemikalien standen auf den andern Gestellen, wozu dann diese Flaschen? Sie fasste an den Hals der ersten, wollte sie umdrehen und ließ sie erschrocken wieder fahren. Die Flasche war leer, was sie durch das dunkle Glas nicht erkannt hatte. Sie rüttelte an der nächsten: leer. Die dritte: leer.
    »Das macht alles keinen Sinn«, murmelte sie ärgerlich. Ratlos stand sie vor dem sinnlosen Regal. Das Brummen schien anzuschwellen, als wollte es eindringlich auf sich aufmerksam machen. Sie wandte sich ab. In diesem Moment sah sie etwas aufblitzen. Sie schob hastig zwei der leeren Flaschen zur Seite, und ein Schwall heißen Blutes schoss ihr in den Kopf. Hinter dem Gestell, in die Wand eingelassen, kam der gleiche Ziffernblock wie am Tor zum Vorschein. Ihr Puls beschleunigte sich. Mit einem freudigen Ausruf zückte sie ihr Handy und schoss ein paar Fotos. Sie kam sich vor, als stünde sie vor Aladins Schatzkammer. Irgendwo musste eine Tür zu einem versteckten Tresor führen, und die kleine Tastatur diente dazu, sie zu öffnen. Alles andere erschien ihr sinnlos. Es war Zeit, den Inspektor anzurufen. Sie holte sein Kärtchen aus der Tasche und begann, die Ziffern seiner Nummer einzugeben. Mit einem Mal stockte sie, legte Telefon und Karte weg und wandte sich dem Ziffernblock hinter dem Regal zu. Diesmal war es ihre Hand, die deutlich zitterte, als sie vorsichtig die Tasten drückte. Eine nach der andern gab sie die gleichen Ziffern ein wie am Tor. Bei der letzten Ziffer schlug ihr das Herz bis zum Hals. Sie drückte die Vier und wartete. Erst geschah nichts, dann mischte sich plötzlich ein anderer Summton in das monotone Brummen der Halle. Metall knirschte. Sie sprang erschrocken weg. Mit angehaltenem Atem beobachtete sie, wie das ganze Regal langsam zur Seite glitt und den Blick auf eine Panzertür freigab. Die schwere Stahlplatte schwang mit einem hellen Klick auf.
    »Sesam öffne dich«, flüsterte sie andächtig. Sie wagte einen Blick hinein. Es war kein Tresor, der sich wie durch Zauberhand geöffnet hatte. Sie blickte in einen kurzen Tunnel, schwach erleuchtet vom Licht am andern Ende. Sie wusste, dass es falsch war, aber die Neugier trieb sie in den düsteren Gang.
    Wände und Boden bestanden aus sauberem Spritzbeton, doch es roch penetrant nach Schmieröl. Das Brummen wurde lauter, der Boden vibrierte, und als sie ins Licht trat, wusste sie, weshalb. Der Tunnel mündete in eine verglaste

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