Natürliche Selektion (German Edition)
jetzt nicht mehr mit dem Zufallsargument vom Tisch wischen. »Ich will Ihnen sagen, was ich glaube«, fuhr sie fort. »Ich vermute, diese schöne Erinnerung an Meta ist ein klares Anzeichen für eine Blockade.«
Er warf ihr einen misstrauischen Blick zu. »Sie meinen, uns wurde dieses Märchen eingepflanzt, um eine andere Erinnerung zu blockieren?«
»Ich könnte es nicht besser formulieren«, nickte sie ernst.
»Aber – warum um Himmels willen?«
»In der Behandlung von Traumata setzt man diese Methode hin und wieder ein, um schreckliche Erlebnisse zu verarbeiten oder Ängste zu überwinden. Man möchte gewissermaßen einen Teil der Vergangenheit ungeschehen machen, ausradieren, aber das geht nicht. Also versucht man, das Erlebte zu überdecken, die Erinnerung mit andern Inhalten zu blockieren.«
Fermat schüttelte angewidert den Kopf. »Das ist krank!«
»Nicht, wenn es der Heilung dient«, entgegnete sie, »aber auch diese Technik kann natürlich missbraucht werden.«
Er starrte eine Weile wortlos durch sie hindurch an die Wand. Dann gab er sich einen Ruck und stellte die Frage, die ihr auch auf der Zunge lag: »Jemand will nicht, dass wir uns an etwas Bestimmtes erinnern?«
Sie nickte. »Das wäre eine mögliche Erklärung.«
»Eine mögliche?«
»Die einzige, die mir einfällt«, gab sie zu.
»Wie lässt sich das beweisen? Und vor allem – wie kommen wir an die blockierte Information?«
»Schwierig, aber nicht unmöglich«, antwortete sie vorsichtig. Sie konnte es mit einer tiefen Hypnose versuchen. Bisher hatte sie nur an der Oberfläche gekratzt. Ihr war klar, dass eine solche Blockade nicht einfach aufzubrechen war. Und was würde geschehen, wenn es ihr gelänge? Sie könnte die Psyche des Mannes nachhaltig schädigen, falls die Blockade traumatische Erinnerungen unterdrückte.«
»Was heißt das?«
Ihr wurde erst jetzt bewusst, welch ungeheuerliche Entdeckung sie gemacht hatte. Trotz der Gefahren konnte und wollte sie nicht aufgeben, bevor sie alles wusste. Im Vergleich zum Sonntagsspaziergang der leichten Hypnose war die tiefe Hypnose eher ein Marathonlauf. Sie erforderte eine eingehende medizinische Vorbereitung, und vor allem musste sie Fermat über die Risiken aufklären.
»Scheiß drauf!«, rief er aus, nachdem sie ihre Bedenken geäußert hatte. »Ich will alles wissen.«
Meine Worte, dachte sie und nahm das Stethoskop und das Blutdruckmessgerät aus dem Schrank. »Ich muss Sie kurz untersuchen. Wir müssen wenigstens die körperlichen Risiken ausschließen. Bitte machen Sie den Oberkörper frei.« Der junge Mann besaß einen athletischen Körper und machte in jeder Hinsicht einen gestählten Eindruck, aber man konnte nie wissen.
»Perfekt«, murmelte sie nach ein paar Minuten und packte die Instrumente wieder zusammen. Fermat zog sich wieder an und legte sich nochmals auf die Couch. Diesmal dauerte es länger, bis sie am Punkt war, wo sie tiefer in seine Erinnerung eindringen konnte. Zuerst musste sie die Geschichte der schönen Meta Stück für Stück demontieren, dann endlich schien er soweit zu sein. Sie spürte es an seiner körperlichen Reaktion. Die Antworten wurden schleppender, die Stimme tiefer und leiser. Manchmal konnte sie ihn kaum verstehen. Er begann zu schwitzen. Sie fühlte sofort seinen Puls. Erhöhte Herzfrequenz. Die Erinnerung erregte ihn stark, das Gesicht verriet Angst, auch eine Spur Ärger. Die Hände zuckten, als wollte er etwas abwehren.
Dann plötzlich brach sein Kreislauf zusammen. Das Herz schlug nur noch sehr langsam und schwach. Er antwortete nicht mehr, atmete flach, kaum spürbar. Es war, als hätte sie ihn ins Koma versetzt. Mit allem hatte sie gerechnet, nur nicht damit. Ihr Puls raste und sie verfluchte sich innerlich, sich auf dieses Wagnis eingelassen zu haben, aber ihre lange Erfahrung sorgte dafür, dass sie automatisch richtig reagierte. Sie musste blitzschnell handeln, die Hypnose spontan auflösen, wie durch einen Schock.
Der alarmierende Zustand verflog. Er begann wieder normal zu atmen, sein Herzschlag kehrte zurück. Wie stets nach spontaner Auflösung dauerte es einige Zeit, bis sich auch sein psychischer Zustand stabilisiert hatte. Seine Antworten auf ihre Kontrollfragen deuteten jedenfalls darauf hin, dass nicht mit Schäden zu rechnen war.
»Nun, wer war’s?«, fragte er salopp.
Sie schüttelte schmunzelnd den Kopf. »Ich konnte die Blockade leider nicht überwinden«, log sie. Eigentlich war es nur eine halbe Lüge. Sie hatte
Weitere Kostenlose Bücher