Natürliche Selektion (German Edition)
fragte Leo spitz. Sie kannte das Medikament nicht, wohl aber den Hersteller: RDC Inc., Remedis Del Caribe, eine Tochtergesellschaft des Remedis-Konzerns mit Sitz in Puerto Rico.
Die Wirtin zögerte. Leo sah, wie ihr Gewissen sie quälte. Wahrscheinlich machte sie sich schwere Vorwürfe, ihnen nicht von Anfang an die ganze Wahrheit gesagt zu haben. Um sie endgültig zum Reden zu bringen, versetzte sie dem Gewissen der Frau noch einen Schubs: »Sie haben sie angerufen, nicht wahr?«
Meta zuckte zusammen. Mit gesenktem Blick nickte sie kaum merklich und antwortete leise: »Ich konnte doch nicht wissen, ...«
»Ist ja nicht Ihre Schuld, dass uns der Berg fast auf den Kopf gefallen ist«, warf Audrey ein. »Wen haben Sie angerufen?«
»Das Büro des Colonel.« Metas Gewissen hatte sich für die Wahrheit entschieden. Sie begann, sich die Last von der Seele zu reden. Man hatte ihr eingeschärft, all die Jahre über das Geschehen in der Klinik zu schweigen und dabei kräftig mit Geld für das Hotel nachgeholfen. Leo verstand, dass sie unter großem psychischen Druck gestanden hatte. »Als Oberschwester war ich die Einzige, die bei dieser Behandlung eingesetzt wurde«, erzählte sie. »Sonst wussten nur die Ärzte Bescheid. Die jungen Männer – es waren etwa zehn, soweit ich mich erinnere - wurden ohne ihr Wissen in der Kammer operiert und anschließend in ein künstliches Koma versetzt. Nach zwei Wochen kamen sie in die Klinik zurück, wo ich für ihre Nachbehandlung zuständig war. Dabei wurde auch dieses Medikament mit dem Essen verabreicht. Die Männer erinnerten sich an nichts. Die ganze Behandlung war wie ausgelöscht in ihrem Kopf.«
Leo beherrschte sich und fragte mit ruhiger Stimme: »Was geschah in der Kammer?«
»Ich weiß es wirklich nicht«, schluchzte die Wirtin. »Ich war nie dort, ich hatte nur meine Instruktionen. Und ich sollte sofort diese Nummer anrufen, falls jemand nach der Kammer fragt. Ehrlich, ich habe keine Ahnung, was mit den Männern passiert ist. Sie machten stets einen kerngesunden Eindruck.«
Kerngesund , dachte Leo bitter. Genau der Kern war alles andere als gesund nach dieser Behandlung. Sie wollte endlich wissen, wer sich hinter diesem Colonel verbarg, doch Audrey kam ihr zuvor:
»Wir werden die Telefonnummer überprüfen, aber ich nehme an, der Anschluss ist jetzt tot. Sie waren wirklich nie in der Kammer?« Meta schüttelte heftig den Kopf, da stellte Audrey eine elegant geschwungene Phiole mit einer leicht rosa gefärbten Flüssigkeit auf den Tisch. »Ist das Ihr Parfüm?«
»›Miracle‹!«, platzte sie heraus. »Das habe ich früher benutzt. Wo ...«
»Ganz richtig«, nickte Audrey. »Wir haben es in der Kammer gefunden.«
Meta starrte das Fläschchen ratlos an. »Keine Ahnung, wie und warum es dorthin gekommen ist, aber damals habe ich dieses Parfüm benutzt.«
Leo glaubte zu wissen, wozu es in der Kammer diente. Es war eines der Elemente, mit denen man die falschen Erinnerungen in den Hirnen der Männer aufgebaut hatte. Charakteristische Gerüche konnten starke Halluzinogene sein. »Ich glaube Ihnen«, antwortete sie schnell, um ihre Tochter von weiteren Fragen abzuhalten. »Und wer ist nun dieser Colonel wirklich?«
»Der Colonel – alle nannten ihn so. Seinen Namen habe ich nie erfahren, begegnet bin ich ihm auch nie. Hat mich auch nicht interessiert. Er muss ein hohes Tier bei RDC gewesen sein, dieser Pharmafirma. Im Nachhinein kommt es mir vor, als sei die Klinik eine Art Testbetrieb von RDC gewesen.«
»Da sind Sie nicht allein«, murmelte Leo mit verhaltenem Zorn.
Biovalley, Basel
Der Ärger über die Ereignisse im Jura war schon fast verflogen, als die bekannte Gruppe moderner Gebäude aus Glas und Sichtbeton vor ihm in der grünen Landschaft auftauchten. Er hätte darauf bestehen müssen, die Kaverne im Mont Terri zu versiegeln, sobald jene Phase abgeschlossen war. Aber im Nachhinein war man immer klüger. Die Geister der Vergangenheit mussten jetzt endlich ruhen. Im kleinen Forschungsinstitut des Basler Konzerns am Rande des Technologiezentrums wartete die Phase drei auf ihn. Die Zukunft, der Durchbruch, der die Menschheit für immer verändern würde. Es gab kein Zurück. Diese Entwicklung war zu wichtig, wichtiger als alles, was er in seinem bisherigen Leben getan hatte, wichtiger als alles, was er in seinen verbleibenden Jahren noch tun könnte.
Es würde ein kurzer Besuch werden. Seine beiden Nornen hatten ihm die höchst erfreuliche Nachricht
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