Natürliche Selektion (German Edition)
zu drehen.«
Er schloss die Augen, biss auf die Zähne. Im blauen Lichtschimmer sah Audrey, wie sich Schweißperlen auf seinem schmerzverzerrten Gesicht bildeten. Er musste eine Weile ruhen, um Atem zu holen. »Gib mir das Walkie-Talkie, bitte«, sagte er unvermittelt. Es dauerte nicht lange, bis er Verbindung mit seinen Kollegen aufgenommen und ihre Position durchgegeben hatte. Nach der Antwort zu urteilen, konnte es lange dauern, bis Hilfe kam. Die ungeplante Sprengung hatte offenbar einen großen Teil des Platzes, auf dem Gregs Auto abgestellt war, verschüttet. Ebenso waren alle Eingänge zur Höhle von Remedis blockiert. Man musste erst schweres Gerät heranschaffen, bevor man an eine Bergung denken konnte. Die schlimme Lage ernüchterte Greg soweit, dass er seine gewohnte Sprache wieder fand. »Shite!«, knurrte er ins Gerät und legte es weg. »Ihr könnt nochmals ziehen, Ladies. Ich glaube, jetzt könnte es klappen.«
Zu zweit gelang es ihnen endlich, Greg aus dem Loch zu befreien. Auch seine Lampe hatte überlebt. Nachdem sich ihre Augen an das ungewohnt helle Licht angepasst hatten, begann Leo, den Geretteten zu untersuchen. Außer ein paar Kratzern hatte er keine äußeren Verletzungen, aber sein Fußgelenk war gebrochen. Ohne Schiene und Krücke käme er nicht mehr auf die Beine. Alles was sie tun konnten war, ihn weiter von der Gefahrenzone wegzuschleifen und zu warten.
Greg saß angelehnt an die Tunnelwand am Boden. Er schaute sie müde lächelnd an und sagte: »Danke, Ladies. War nicht so geplant.«
»Das haben wir den Idioten zu verdanken, die uns fast gerammt hätten«, knurrte Audrey.
Er nickte. »Feine Gesellschaft. Haben sauber aufgeräumt. Ich frage mich nur, weshalb gerade jetzt?«
Ich hätte schon eine Vermutung , dachte Audrey. Sie warf Leo einen verstohlenen Blick zu und sah, dass ihr der Gedanke wohl auch gekommen war. Sie behielt ihren Verdacht für sich, sagte nur: »Die waren offenbar ziemlich in Eile, sonst hätten sie den Giftschrank im Fels geleert.«
Die Beweise! Beinahe hätte sie vergessen, die einzigen Beweisstücke zu sichern, die sie gefunden hatten. Sie sprang auf und griff nach der Lampe. »Ich hole die Proben aus den Röhren. Das ist doch O. K., Greg?«
»Von mir aus. Ich brauche den Kram nicht.«
Sie war schon unterwegs in den verbrannten OP.
St. Ursanne, Schweizer Jura
Hochgezogene Augenbrauen, weit aufgerissene Augen, auseinandergezogene Lippen. Metas Gesichtsausdruck verriet ihre Angst. Auch wenn Leo ihren Verdacht bis jetzt nicht ausgesprochen hatte, wusste die Wirtin, dass ihr Gast sie durchschaut hatte. Seit Leo und Audrey im Krankenwagen mit Polizeieskorte ins Demi-Lune zurückgekehrt waren, schien die Wirtin wie ausgewechselt. Sie machte den Eindruck einer gebrochenen Frau, gleichzeitig geschlagen und von einer großen Last befreit.
»Entschuldigen Sie mich«, sagte Leo, als ihr Telefon summte. Sie stand auf und entfernte sich vom Tisch, wo sie vor kurzem schon einmal zu dritt gesessen hatten.
Edmond war am Apparat. »Leo, wir müssen unbedingt miteinander sprechen«, platzte er heraus.
»Ich bin gerade mitten in einem Gespräch, Edmond. Was gibt’s denn so Wichtiges?«
»Hier ist der Teufel los. Ich glaube, da läuft eine ganz dreckige Intrige hinter deinem Rücken.«
»Ach, noch mehr Fotos?«
»Ich mache keine Scherze, Leo. Muehlberg führt sich schon wie der neue Chef auf. Du solltest das ernst nehmen. Wir müssen uns überlegen, wie wir uns verteidigen.«
»Wir?«
»Komm schon! Du weißt, dass ich dich ungern verlieren würde.«
»So schlimm?«
»Schlimmer.«
Die Nachricht stimmte sie nun doch ein wenig nachdenklich. Sie schien keine von Edmonds üblichen Übertreibungen zu sein, wenn sie seine Stimme richtig deutete. Sie versuchte, ihn zu beruhigen: »Ich verstehe. Hör mal, ich muss hier weitermachen. Ich bin morgen wieder in Paris, dann können wir reden, abgemacht?«
»Gut, beeil dich! Und liebe Grüsse an die süße Audrey.«
»Ich werde mich hüten«, lachte sie und legte auf.
Audrey hatte eine Auswahl der Medikamentenpackungen und Fläschchen aus dem Felstresor vor der Wirtin aufgebaut. Die Frau betrachtete die Präparate mit sichtlichem Abscheu. Zögernd griff sie nach einer Schachtel, drehte sie nachdenklich zwischen den Fingern und las die aufgeklebte, handschriftliche Notiz.
»Die Schrift unserer Apothekerin«, murmelte sie. »Das Medikament haben wir auch in der Klinik verwendet, zur Nachbehandlung.«
»Nachbehandlung?«,
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