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Natürliche Selektion (German Edition)

Natürliche Selektion (German Edition)

Titel: Natürliche Selektion (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: H. J. Anderegg
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verlieren. Benommen, mit brummendem Schädel setzte sie sich auf und horchte. Das Donnergrollen war verhallt, es war still. Totenstill und stockfinster. Mein Gott, Leo? »Maman?«, rief sie. Panik ergriff sie, da vernahm sie eine Bewegung in ihrer Nähe.
    »Was war das?«, keuchte ihre Mutter, während sie unter Ächzen und Stöhnen aufzustehen versuchte.
    »Bist du O. K.?« Auch Audrey erhob sich, betastete ihren Hinterkopf, dann zog sie das Handy aus dem Futteral am Gurt und schaltete es ein. Kein Signal, aber der Bildschirm begann zu leuchten, tauchte die Umgebung in gespenstisch blaues Licht. Leo stand nur eine Armlänge von ihr entfernt an der Wand und rieb sich den Staub aus den Augen. »Himmel, wie siehst du denn aus!«, entfuhr es ihr. Selbst im schummrigen Licht des Displays glich das Geschmier im Gesicht ihrer Mutter der Kriegsbemalung eines Hooligan nach der Schlacht. So ungefähr stellte sie sich ihr eigenes Gesicht auch vor.
    Leo hielt unvermittelt inne mit der sinnlosen Säuberung und fragte erschrocken: »Wo ist Greg? Er wird doch nicht ...«
    Die Explosion, der Bergsturz, was immer es war, hatte sich genau dort ereignet, wo der Tunnel hinführte, durch den er verschwunden war, und seither hatten sie keinen Ton mehr von ihm gehört. Ein kalter Schauer lief ihr über den Rücken. Greg, begraben unter den Felsmassen. Schnell verscheuchte sie den schrecklichen Gedanken. Sie durften keine Minute länger hier warten. »Los, suchen wir ihn!«, sagte Audrey entschlossen und wandte sich zum Ausgang. Während sie so schnell es ging im fahlen Licht ihres winzigen Bildschirms über die Trümmer des einstigen OP-Saals stiegen, riefen sie nach Greg. Ihre Stimmen klangen zunehmend ängstlicher, je länger es ruhig blieb.
    Der Tunnel zum Parkplatz war unversehrt. Immerhin ein Hoffnungsschimmer. Sie bogen um die Ecke, die zum Gittertor führte. Kaum hatte der schwache Lichtstrahl das Ende des Tunnels erreicht, schrien sie beide auf vor Entsetzen. Vom Tor war nichts zu sehen, vom Ausgang war nichts zu sehen. Der Tunnel endete in einer dichten Mauer aus Fels und Geröll. Gefangen, eingemauert in der verfluchten Kammer! Unfähig zu sprechen, standen sie da und starrten auf das Unfassbare, als warteten sie auf das Ende des Albtraums. Während Audrey wie gelähmt versuchte, ihre Gedanken zu ordnen, schreckte sie plötzlich ein Geräusch auf. Es zischte und knackte im Halbdunkel, dann schnarrte eine metallische Stimme in gut verständlichem Englisch:
    »Charly an Greg: wo seid ihr? Melde dich!«
    »Gregs Funkgerät!«, rief Audrey in höchster Erregung. Die Starre fiel augenblicklich von ihr ab. Klopfenden Herzens eilte sie zur Stelle, wo das Geräusch herkam. Sie fand das Funkgerät im Hohlraum zwischen zwei großen Felsbrocken, die es wie durch ein Wunder geschützt hatten. Sie griff hinein, um es herauszuziehen und berührte eine Hand. Mit einem entsetzten Aufschrei zuckte sie zurück. Sie zitterte am ganzen Körper. »Greg – er liegt da drunter«, stammelte sie.
    Leo hob ihr Handy vom Boden auf, das sie vor Schreck fallen gelassen hatte. Wortlos beleuchtete sie die Szene, griff in den Spalt, wo das Funkgerät lag. Nach ein paar Sekunden zog sie die Hand zurück und sagte ruhig: »Er lebt.« Sie begann, die kleineren Steine wegzuräumen. »Hilf mir!«
    Audrey gehorchte mechanisch, obwohl sie sich nicht vorstellen konnte, wie sie den armen Kerl mit bloßen Händen frei bekommen sollten. Stein um Stein half sie ihrer Mutter, das Geröll abzutragen. Sie schwitzte wie seit dem Überlebenscamp nicht mehr. Schließlich sahen sie, weshalb Greg dieses Inferno überlebt hatte. Eine Steinplatte lag verkeilt zwischen Geröll und Tunnelwand. Die Nische darunter war seine Rettung. Er lag mit dem Gesicht nach unten im Staub, die Hand mit dem Funkgerät versteckt, aber nicht eingeklemmt, zwischen den Felsen.
    Leo beugte sich zu ihm hinunter, drehte seinen Kopf sachte zur Seite, dass er besser atmen konnte. »Greg, hörst du mich?« Keine Antwort, aber sie vernahmen beide ein schwaches Röcheln. »Er atmet, Gott sei Dank«, murmelte sie. »Wir müssen versuchen, ihn herauszuziehen.«
    Leichter gesagt als getan. Zuerst befreiten sie vorsichtig seinen Arm, dann packte Leo sein Hemd bei den Schultern und zog. Ein Ausruf des Schmerzes war die Antwort. Greg schlug die Augen auf und stöhnte gequält:
    »Mein Fuß!«
    »Was ist damit?«
    »Er steckt fest. Verdammte Scheiße, es sticht höllisch.«
    »Kannst du das Bein bewegen? Versuch es

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