Natur
subjektiv das richtige Maß haben. Eine zu schlichte Umgebung wird als öde und trostlos erlebt. In Naturumwelten besteht selten das Problem, dass sie eintönig sind. Die Komplexität ließe sich in der Natur ohnehin leicht steigern, indem nämlich der Blick auf die vielfältigen kleinen Elemente gerichtet wird (vgl. Abbildung 1-19 ).
Menschen sind nicht nur Informationen verarbeitende, sondern auch mobile Lebewesen (vgl. das umweltpsychologische Modell in Kapitel 1.4 ).
Abbildung 2-10: Weg im Kranichsteiner Forst zu verschiedenen Jahreszeiten (eigene Fotos)
Sie wenden sich Orten zu, die sie emotional positiv erleben, und sie meiden solche, die mit negativen Eindrücken verbunden sind. Wenn ihnen Anregungen fehlen, werden sie danach trachten, sich diese zu verschaffen. Indem sie für sie neuartige, inkongruente und komplexe Umwelten aufsuchen, tragen sie selbst zu positiven emotionalen Reaktionen bei. In der Bevorzugung von Umwelten mit Naturelementen gegenüber gebauten Umwelten ohne Natur kommt ein aktives Zuwendungsverhalten zum Ausdruck, was auf eine voran gegangene positive emotionale Reaktion schließen lässt.
2.2 Die erholsame Natur
Neben dem ästhetischen Erleben von Natur ist die Erholwirkung ein weiterer Schwerpunkt der psychologischen Naturforschung. Natur in allen Arten und Größenordnungen von der Landschaft bis hin zum einzelnen Teich, Baum oder Busch wird nicht nur geschätzt, weil sie schön aussieht und ästhetischen Genuss bietet, sondern auch, weil man sich bei ihrem Anblick erholt. Die Annahme ist: Wer ausgeruht ist und sich vom Stress befreit hat, fühlt sich wohl und gesund, er kann seine Fähigkeiten wieder voll entfaltenund das, was zu tun ist, mühelos erledigen. Und er kann sich wieder - zumindest für eine Weile - mit schwierigen Fragestellungen befassen.
Gegenpol der Erholung ist die Beanspruchung. Der Vorstellung, dass man nach eine Phase der Beanspruchung Erholung benötigt, spiegelt sich in der Dichotomie von Arbeit und Freizeit wider. Der Mensch braucht nach der Arbeit eine Phase der Erholung, damit er insgesamt leistungsfähig bleibt. Erholung bekam so im Laufe der Zeit einen normativen Aspekt, indem geregelte Arbeitszeiten, Urlaube und Ferien zum Zwecke der Erholung institutionalisiert wurden (Kagelmann & Keul, 2005).
Abbildung 2-11: Freizeit (eigenes Foto)
Die Lebensreform-Bewegung vor rund 100 Jahren kann als ein Versuch angesehen werden, die Natur in den Entwurf für eine bessere, gesündere, ursprünglichere, weniger überzivilisierte Welt und für eine alternative Lebensgestaltung im Sinne von «zurück zur Natur» einzubeziehen und die oben angesprochene Dichotomie aufzulösen. Mit dem Begriff der Natur verbanden die Lebensreformer Heilsversprechen und Hoffnungen auf Befreiung von einer das Individuum einengenden Gesellschaft. Natur war der Inbegriff für das Nicht-Dekadente und Ursprüngliche und für ein gesundes Leben (Wolbert, 2001). Natur gemäßes Verhalten bedeutete eine Loslösung von starren Konventionen und restriktiven Lebensformen. Auch der Körper sollte befreit werden und mit Licht und Luft in Berührung kommen. Deshalb wurden Licht-, Luft- und Wasserbäder empfohlen. Das Wandern in der Naturlandschaft wurde zu einer beliebten Freizeitund Urlaubsbeschäftigung (vgl. Abbildung 2-12 ).
Heute hätten die Lebensreformer von «wellness» gesprochen, einer Kombination aus « well -being» und «fit ness» , womit ebenfalls ein ganzheitliches Wohlbefinden bezeichnet wird.
Der angestrebte Erholeffekt der Natur wurde in etlichen Untersuchungen empirisch bestätigt. Umwelten, die in diese Weise wirken, hat man als «restorative environments» (erholsame Umwelten) bezeichnet. Man versteht darunter eine Umwelt, die der Erholung der mentalen Energien und der Leistungsfähigkeit förderlich ist (Kaplan & Kaplan, 1989). Naturumwelten vermögen offensichtlich auf natürlichem Wege die Regeneration zu fördern, das heißt ohne Medikamente oder spezielle therapeutische Maßnahmen. Die Regeneration bezieht sich dabei insbesondere auch auf die Wiedererlangung der kognitiven Leistungsfähigkeit (Hartig et al., 1997).
Abbildung 2-12: Wandern (eigenes Foto)
Erholsame Umwelten sind trotz einer erheblichen Überschneidung nicht synonym mit Naturumwelten. Auch der Aufenthalt in einem Wellness-Hotel kann dazu beitragen, die körperliche Kraft, die mentalen Energien und die kognitive Leistungsfähigkeit wieder herzustellen. Und auch umgekehrt gilt, dass nicht alle
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