Naturgeschichte(n)
dauern, bis auch die Ackerbauern schließlich die Pferde buchstäblich für sich einspannten und als Zugtiere benutzten.
An der unterschiedlichen Herkunft änderte sich nicht viel. Die Pferde- und die Rinderkulturen blieben erstaunlich stark voneinander getrennt. Pferde isst » man« vergleichsweise sehr selten. Man gibt ihnen das Gnadenbrot. Pferde sind Kameraden. Pferde waren immer und bleiben bis heute Luxus. Sie prägten das mittelalterliche Bild des (edlen) Ritters, dessen Knappe zu Fuß ging. Napoleon präsentierte sich triumphierend auf einem Pferd, einem Schimmel (natürlich!). Und das Reiten als Kunstform ist geblieben. Ochsenritte macht man zur Belustigung. Oder Ochsenrennen. Welten stehen zwischen solchen Veranstaltungen und einem Ausritt zu Pferde, » hoch zu Ross«.
Das Weizenkorn und der Auerochse
Warum züchten wir nur bestimmte Tiere für unser Essen?
Es gibt mehr als 5000 verschiedene Arten von Säugetieren und um die 10 000 Vogelarten. Aber nur ein paar Dutzend davon hat der Mensch domestiziert. Rind, Schwein, Schaf und Ziege, Huhn und Ente sind wohl die wichtigsten, für die Ernährung des Menschen bedeutendsten Nutztiere, Hund und Katze die mit Abstand beliebtesten Haustiere. Warum diese kleine Auswahl? Warum spannten sich die Menschen nicht viel mehr Arten für ihre Bedürfnisse ein?
Betrachten wir zunächst das Rind, das nach Menge und Gewicht die Liste anführt. Etwa eineinhalb Milliarden Hausrinder, die vornehmlich in Südostasien genutzten Hausbüffel miteingerechnet, gibt es gegenwärtig. Sie übertreffen das Gewicht aller bald sieben Milliarden Menschen auf der Erde beträchtlich, nämlich um mehr als das Doppelte.
Am Lebendgewicht gemessen wäre die Erde ein Planet der Rinder. Und der Schweine, denn mit einer Anzahl von einer Milliarde sind auch sie in der Summe deutlich schwerer als die Menschheit. Erst die Milliarde Schafe liegt gewichtsmäßig unter dem Menschen an vierter Stelle, gefolgt von den gut 700 Millionen Ziegen. Das Geflügel ist zwar viel kleiner, dafür aber umso zahlreicher. Mit rund 15 Milliarden übertrifft es den Menschen der Zahl nach um mehr als das Doppelte. Hinzu kommt ein gewaltiger Futterverbrauch für ihr schnelles Wachstum in einem kurzen Leben. Für die Massenzucht von Geflügel wird proteinreiches Kraftfutter benötigt, auch Soja und Getreide, die von Menschen verzehrt werden könnten.
Der weltweite Stallviehbestand konkurriert ernst zu nehmend mit dem Menschen, was den Nahrungsbedarf angeht. Der Bedarf des Stallviehs übertrifft den der Menschheit gewichtsmäßig um mindestens das Dreifache. Im Hinblick auf die weitere Bevölkerungszunahme, den Nahrungsbedarf und den Hunger in der Welt sind das beunruhigende Zahlen. Sie bedeuten, dass der extrem hohe Fleischverzehr, den wir uns in den reichen Ländern seit Jahrzehnten leisten, zurückgefahren werden muss auf ein global verträgliches Niveau.
Gegenwärtig liegt Deutschland mit über 80 Kilogramm Fleisch pro Kopf und Jahr in der Spitzengruppe. In weiten Regionen Asiens, keineswegs nur in den armen, von Nahrungsmangel geplagten, werden lediglich um die 20 Kilogramm verzehrt. Würden die fünf Milliarden Menschen mit diesem geringen Fleischverbrauch zur Milliarde mit dem hohen aufschließen wollen, benötigten wir eine zweite Erde für die Weideflächen und das Futter für das viele Vieh.
Soweit also die Zustandsbeschreibung. Nun zur eigentlichen Frage, warum nur so wenige Tiere aus dem vorhandenen, also grundsätzlich verfügbaren Sortiment domestiziert wurden. Reichten die zuerst gezähmten und gezüchteten vollkommen aus, sodass keine weitere Notwendigkeit gegeben war? Das wäre eine mögliche Erklärung. Sie trifft allerdings nicht zu, denn wir wissen, dass mit zahlreichen weiteren Tieren experimentiert wurde. Am besten erhalten sind Informationen dazu aus dem alten Ägypten. Außerdem konzentrierten sich die Domestikationsversuche auf einige wenige Regionen, die identisch sind mit jenen, in denen auch die wichtigsten Getreidepflanzen kultiviert worden sind: Der » fruchtbare Halbmond« zwischen Unterägypten, der östlichen Türkei und Mesopotamien war das wichtigste Domestikationszentrum, gefolgt von Südostasien und Mittelamerika. Aus all den übrigen weiten Gebieten der Welt stammen keine Nutztiere oder nur solche von geringer regionaler Bedeutung.
Wie schon betont, decken sich die Domestikationsgebiete mit den Entstehungszentren des Ackerbaus. Es muss also einen Zusammenhang zwischen beiden
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