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Naturgeschichte(n)

Naturgeschichte(n)

Titel: Naturgeschichte(n) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Josef H Reichholf
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nach Mitteleuropa kommen, liegt an den Niederschlägen in der Sahel-Zone. Jahrzehntelang gab es dort zu wenige. Mensch und Vieh hungerten und dürsteten. Dann setzt in den 1990 er Jahren eine Periode mit vermehrten Niederschlägen ein. Die Distelfalter reagierten darauf mit ihren Massenflügen. Ihr Kommen drückt das Geschehen am Südrand der Sahara aus.
    Dieser Einfall der Distelfalter ist vergleichbar mit dem Auftauchen von Wanderheuschrecken. Auch sie vermehren sich gelegentlich bis zu biblischen Ausmaßen, wenn die Niederschläge besonders reichlich ausfallen, wie 2003 . Damals schwärmten viele Millionen Wanderheuschrecken aus der Sahel-Region aus, überflogen das Meer bis zu den Kanarischen Inseln und gelangten, von den Winden des Azorenhochs getragen, im Dezember bis Portugal. Das war glücklicherweise für die Iberische Halbinsel die ungünstige Zeit für die Wanderheuschrecken. Die Invasion erstarb von selbst, ohne Schäden angerichtet zu haben.
    In früheren Jahrhunderten erreichten Wanderheuschrecken wiederholt auch Mitteleuropa, wo sie tatsächlich ganze Ernten zerstörten. Das war aber in den kalten Zeiten der sogenannten Kleinen Eiszeit. Sie verursachte bei uns ein nasskaltes Sommerwetter, das in den südrussischen und pontischen Steppengebieten die Niederschlagsmenge vergrößerte und dort zu einer Massenvermehrung der Wanderheuschrecken führte. Große Mengen – Milliarden müssen es gewesen sein, weil ihre Flüge die Sonne verfinsterten wie ein aufziehender Sandsturm – strebten nach Nordwesten und erreichten Mitteleuropa. Der letzte große Einflug geschah zwischen 1747 und 1749 , aber auch zwischen 1873 und 1875 kam es in Brandenburg zu beträchtlichen Heuschreckenschäden.

Der ehelose Buchfink
und die flexible Feldlerche
    Warum reisen manche Vogelarten und andere nicht?

    Während uns vorüberziehende Falter und Heuschrecken eher überraschen, gibt es Reisende, die wir regelrecht erwarten: die erste Schwalbe, die bekanntlich noch keinen Sommer macht, den Kuckuck, weil uns sein Ruf so gefällt, die Nachtigall, wo sie noch vorkommt, und all die anderen Zugvögel als Boten des fortschreitenden Frühlings. In dieser Zeit treten für uns die ganzjährig in unserer Heimat lebenden Vögel, denen wir mit liebevoller Fütterung über den Winter geholfen haben, in den Hintergrund. Meisen und Amseln, Finken und Spatzen werden im Frühjahr Vögel zweiter Klasse. Die Presse vermeldet die Ankunft der ersten Störche. Was aus den nicht minder schmucken Silberreihern geworden ist, die tapfer in Schnee und Frost ausharrten, ist nicht mehr der Rede wert.
    Aber warum zieht ein Teil der Vogelarten fort, wenn doch andere erfolgreich hierbleiben können? Wir wissen bereits: Gerade einfache Fragen erfordern oft lange, komplizierte Antworten. (Der Volksmund tut sich leichter, wenn er lakonisch feststellt: » Der Teufel steckt im Detail«.)
    Die einfache Antwort könnte lauten: Weil es für diejenigen, die in den Süden ziehen, im Winter zu kalt wird. Klingt gut, ist aber selten überzeugend, wenn wir eine konkrete Vogelart betrachten. Dazu gleich ein Beispiel: Unser Buchfink trägt als wissenschaftlichen Artnamen coelebs. Wer weiß, was für das katholische Priesteramt das Zölibat bedeutet, versteht, was damit gemeint ist: Ehelosigkeit. Der Buchfink, das Männchen, hat keine Gattin – im Winter! Denn die Buchfinkenweibchen fliegen zum Überwintern in den warmen Süden, während die Männchen als Strohwitwer in der Winterkälte ausharren. Nur wenige, zumeist alte Weibchen bleiben bei ihnen. » Wie rührend««, könnte man sagen. Doch menschliche Sichtweisen oder gar emotionale Urteile zu übertragen, ist hier nicht angebracht.
    Denn die » armen Finkenhähnchen« sind gar nicht so schlecht dran. Das zeigt sich, wenn die Weibchen zurückkommen. Dann herrscht oft Männerüberschuss, vor allem wenn der Winter nicht allzu lang und heftig war. Der Flug ins Winterquartier, das die Buchfinkenweibchen rund ums Mittelmeer wählen, ist nämlich keineswegs weniger gefährlich als der Winter nördlich der Alpen. Warum sie das dennoch tun und nicht auch hierbleiben, hat mit ihrer Weiblichkeit zu tun.
    Kurz nach der Rückkehr müssen die Weibchen schon in der Lage sein, Eier zu legen. Die Männchen können zum Ausgleich singen, was die Brust hergibt. Sie haben, vielfach auch dank des Körnerfutters, das wir ihnen an den Futterhäuschen geben, einen Überschuss an Energie. Die Weibchen brauchen mehr als Energie. Ihr Körper muss

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