Navy SEALS - Tyler, S: Navy SEALS
mit zu ihm gehen können. Das hätte ihnen beiden geholfen zu vergessen, dass sie sich in einem Flüchtlingscamp mitten im Kongo befanden, und es wäre für Sarah nichts anderes gewesen als eine Möglichkeit, die unerbittliche, ruhelose Energie abzubauen, die sie erfüllte, seit der Mann, den sie liebte, verschwunden war.
»Du wärst doch eingeschlafen, noch bevor du deine Hose ausgezogen hättest«, erwiderte sie. »Du schuldest mir übrigens zehn Dollar. Amerikanische Dollar.«
Dieses Geld würde sie nie zu Gesicht bekommen, sie war hier nur zu Gast und würde längst weg sein, bis dieser Mann in der Lage war, aus dem Bett zu kriechen. Vince, der amerikanische Reporter, mit dem sie in den vergangenen Wochen zusammengearbeitet hatte, wollte hier übernachten und bei Tagesanbruch aufbrechen. Sarah hatte nicht schlafen können und den Abend im Kreis der Einheimischen und der Ärzte verbracht.
Irgendwann hatte man am Lagerfeuer angefangen, Geistergeschichten zu erzählen, solche vor allem, die im Lande spielten und von lebenden Toten handelten, von Zombies, und die Einheimischen schworen, dass sie wahr waren. Ihrem Aberglauben zufolge musste man eine solche Geschichte, hatte man sie einmal gehört, weitererzählen, um dem bösen Schicksal zu entgehen, das ihnen anhing.
Sarah kannte viele Formen des Aberglaubens und des Schicksals und sie kannte Afrika und seine vielen Facetten, so wie sie ihre eigene Seele kannte. Sie war hier aufgewachsen, und als sie noch klein war, fünf oder sechs vielleicht, hatte sie Geistergeschichten geliebt. Zusammen mit ihrer Schwester hatte sie in Simbabwe auf der Farm der Familie im dünnen Lichtstrahl einer Taschenlampe unter der alten Veranda gesessen, und vor dem Flüstern der Tabakblätter ringsum hatten sie versucht, einander Angst einzujagen.
Manchmal erzählten sie sich klassische Geschichten aus Büchern, die sie sich aus der Schulbibliothek geliehen hatten, in anderen ging es um Zombies und die örtlichen Voodoo-Legenden.
Aber diese Geister waren stets nur Schall und Rauch gewesen, nie aus Fleisch und Blut. Sie waren nie echt, und irgendwann lachten Sarah und ihre Schwester, bis ihnen der Bauch wehtat und Mom sie ins Haus rief.
Ihre Schwester und ihre Eltern waren seit Jahren tot, seit Sarah sechzehn gewesen war, und sie hatte keine Ahnung, ob es die alte Veranda noch gab. Heute hasste sie Geistergeschichten, und sie hatte sich gerade aus der Lagerfeuerrunde zurückziehen wollen, als der Schnaps hervorgeholt wurde und der junge Arzt, der mit ihr geflirtet hatte, sie zu einem Trinkwettbewerb herausforderte.
Er war so jung, und doch musste Sarah sich in Erinnerung rufen, dass er Jahre älter war als sie. Aber sechzehn war sie in einem anderen Leben gewesen, in dem sie mit ihrer Familie auf der Farm in Simbabwe zu Hause gewesen war, und inzwischen zogen die Jahre wie Sonnenuntergänge an ihr vorbei.
Jetzt ließ sie den Mann auf sein Feldbett sinken und zog die Decke über ihn, bevor sie das Zelt verließ. Sie benutzte die Dusche, die im Ärzte-Quartier dieses von den Franzosen geleiteten Flüchtlingslagers zur Verfügung stand. Es ging auf ein Uhr zu, die Luft war immer noch warm und das Wasser fast noch wärmer, aber es taugte, um sich den langen Reisetag abzuspülen. Dann trat sie, ein kleines Handtuch vor dem Körper, aus dem engen Verschlag.
Sie zog sich rasch an. Ihre Haut war noch etwas feucht, als sie das schwarze Tank-Top überstreifte und in ihre Cargohose stieg. Anschließend ging sie zu ihrem Wagen, wo sie die Nacht verbringen und für Vince die morgige Route ausarbeiten wollte. Außerdem würde sie sich die Bilder, die sie für ihn gemacht hatte, ansehen.
Sie zog ihre Kamera aus der Tasche und ging auf dem Sucher-Display die Aufnahmen durch.
Sie konnte sich nicht daran erinnern, im Durcheinander der Flüchtlinge, die hier Essen, Unterkunft und medizinische Hilfe fanden, umhergegangen zu sein. Erst als sie sich jetzt ihre Fotos ansah, entsann sie sich vage an den Nachmittag, den sie dort verbracht hatte, während Vince Überlebende der jüngsten Gewaltausbrüche im Kongo interviewte. Sie war durch so viele solcher Camps gegangen – als Führerin und Fotografin – , und sie wollte nicht glauben, dass sie unempfänglich war für das Leid, das für Außenstehende so offensichtlich war.
Aber wenn sie die Gräuel fotografierte, war es, als flössen all ihre angestauten Gefühle, ihre Wut und Scham und ihr Wunsch zu helfen durch die Linse in die Bilder hinein.
Sie
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