Nayidenmond (German Edition)
noch kein ausreichender Beweis sein.
Aber es war unabdingbar, dass alle von der Entführung und der Folter erfuhren. Selbst dann, wenn einige wichtige Details verschwiegen werden sollten. Der Großkönig musste erfahren, dass die Bruderschaft hinter seinem jüngsten Sohn hergewesen war, und, falls möglich, den Grund dafür herausfinden. Rouven musste beschützt werden, ob er das wollte oder nicht!
Ich muss handeln.
Iyen verzog das Gesicht, er hasste es, unnötige Risiken einzugehen, doch es war offensichtlich die einzige Möglichkeit. Langes Zögern war nicht seine Art. Iyen suchte sich eine günstige Position zu den beiden Prinzen, zog ein Schwert und zwei Wurfdolche, vergewisserte sich mehrfach, dass keiner der Soldaten so nah stand, dass er ihm gefährlich werden könnte.
Dann stand er auf und stieß einen unartikulierten Ruf aus.
Tarrin und Barlev fuhren erschrocken zusammen, wollten nach ihren Waffen greifen. Als sie erkannten, wer – was – er war und dass er sie anvisiert hatte, gefror Barlevs Gesicht zu einer Maske konzentrierter Beherrschung, während Tarrin seine Angst hinter finsterer Entschlossenheit zu verstecken versuchte.
„Was willst du hier, Oshanta?“, fragte Barlev. Er hob die Hände, um seine Soldaten zurückzuhalten, die diszipliniert genug waren, ihm zu gehorchen. Iyen nickte innerlich vor Anerkennung.
„Wo sind die anderen?“, rief Tarrin. „Ein Oshanta kommt niemals allein.“
„Ich bin allein“, erwiderte Iyen laut. „Glaubt nicht, ihr könntet mich überwältigen, ohne dass ich euch beide mit in den Tod nehme.“
„Was willst du?“, wiederholte Barlev eindringlich.
Die Fronten waren geklärt. Zeit für Diplomatie. Auch, wenn das gar nicht zu Iyens Stärken gehörte.
Oder dass ich es jemals damit versucht hätte!
„Ich habe …“, begann er und versuchte, sich kein Zögern anmerken zu lassen. Seine Gedanken rasten und störten seine Konzentration, aber das war nicht zu ändern. „Ich habe, was ihr sucht.“
Barlev straffte sich, Freude, Erschrecken und Zorn flackerten in rascher Folge über sein Gesicht, bevor er sich wieder beherrschte.
„Was hast du mit unserem Bruder angestellt?“, fauchte Tarrin.
Interessant – zumindest liegt ihm etwas an dem Kleinen!, dachte Iyen.
„Wir waren geschickt worden, Rouven zu entführen und an einem bestimmten Ort dem Auftraggeber auszuhändigen. Er wurde aber zu schwer verletzt, um den Weg überleben zu können.“
Entsetzte Ausrufe von allen Seiten ließen Iyen innehalten und mit einem drohenden Zischen die Waffen höher zu nehmen.
„Bleibt ruhig!“, brüllte Barlev und trat einen Schritt vor, die Hände hoch erhoben.
„Lebt er noch?“ Seine Stimme schwankte kaum wahrnehmbar.
Iyen zögerte, wie viel er noch offenbaren sollte. Es gefiel ihm nicht, so viel reden zu müssen!
Schließlich winkte er Barlev zu sich heran. Jemand musste wissen, dass Rouven gefoltert wurde.
„Du, komm näher, nur du!“, befahl er. Tarrin sah aus, als wolle er widersprechen, blieb dann mit knirschenden Zähnen stehen. Barlev kam nahe genug heran, dass Iyen vertraulich mit ihm reden konnte, ohne dabei die Soldaten oder Tarrin aus den Augen lassen zu müssen. Barlevs Achtsamkeit war deutlich sichtbar in seinen angespannten Bewegungen, doch er blieb ruhig und wich nicht zurück, als Iyen noch ein Stück auf ihn zukam.
„Dein Bruder lebt. Er war bei der Entführung zu sehr geschwächt worden, er hätte es nicht geschafft. Meine Kampfgefährten haben ihn gefoltert, was dem Ehrenkodex der Oshanta strikt widerspricht.“
Barlev schwieg, musterte ihn nur mit überraschender Intensität.
„Ich verstehe“, flüsterte er schließlich. „Ich stehe in deiner Schuld, Oshanta. Sag, was du dafür verlangst.“
Iyen verkniff sich ein überraschtes Stirnrunzeln. Rouven stand in seiner Schuld, nicht Barlev! Doch für Adlige mochten andere Regeln der Ehre gelten.
„Freien Abzug. Mehr brauche ich nicht“, erwiderte er knapp. Er hatte schon doppelt so viel gesagt, wie er geplant hatte und mindestens viermal mehr als er selbst für gut befand.
Barlev nickte. Man sah ihm an, dass er mit sich rang, bis er schließlich hervorpresste: „Was haben sie ihm angetan? Warum sollte er entführt werden und wo ist er jetzt?“
„Rouven wird es dir selbst sagen.“
Noch mehr wollte Iyen nicht andeuten, das war Rouvens Angelegenheit.
So finster, wie Barlev ihn anstarrte, schien er zu ahnen, was er meinte. Vielleicht überlegte er aber auch nur, ob das
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