Nayidenmond (German Edition)
sich hinter ihm in den Sattel schwang, ihm die Fesseln löste, dann sofort die Hände vor der Brust zusammenband. Seinen einstigen Peiniger so dicht an sich gepresst zu fühlen, seinen Geruch nach Schweiß und Leder einzuatmen und augenblicklich das Grauen von damals wieder vor Augen zu haben, war entsetzlich. Ein Teil von ihm wollte schreien, weinen, um Gnade betteln, doch er blieb vollkommen still. Es war nicht nur die Angst vor Strafe, die ihm die Kehle zuschnürte. Nicht die zahllosen Methoden, die ihm ungefragt einfielen, wie sie ihm wehtun oder ihn demütigen konnten, ohne ihn körperlich zu verletzen. Sein Herz schrie nach Iyen, der niemals mehr kommen würde. Der ihn tödlicher verletzt hatte, als diese beiden Oshanta es jemals tun könnten, gleichgültig, welche perversen Fantasien sie an ihm ausleben würden. Im Gegenteil, sie wollten lediglich seinen Körper übergeben. Iyens Zurückweisung hingegen hatte ihn vollständig zerstört.
Iyen sah, wie versteinert Rouvens Gesicht war. Er starrte seinen Feinden hinterher, die ihm das Einzige raubten, das auf dieser Welt Bedeutung für ihn besaß. Rouven bei ihnen lassen zu müssen, zu wissen, was sie ihm antun würden, es fraß ihn auf. Erschöpft sank er auf die Knie. Seine Seele weinte all die Tränen, die er nicht freigeben konnte. Ein Oshanta konnte nicht weinen.
Sei stark, Rouven. Sei stärker, als ich es bin …
12.
„Böse ist, wer Böses tut.“
Allgemein verbreiteter Sinnspruch
„Runter mit dir.“ Jarne war bereits abgesprungen und zerrte nun Rouven vom Pferd. Sie waren mit nur wenigen kurzen Pausen die ganze Nacht und den Tag über geritten, bis die Tiere fast zusammenbrachen. Es war bereits wieder dunkel geworden, die Welt genauso wie Rouvens Seele. Er wollte es nicht noch einmal durchstehen. Vor sechs Jahren hatte er nur überlebt, weil Iyen ihn tagelang in den Armen gehalten, ihn zurück ins Licht getragen hatte. Diesmal war niemand hier, der ihn retten konnte. Seine Beine stützten ihn nicht, er sackte am Boden in sich zusammen. Die letzten beiden Stunden hatte er nicht einmal mehr die Kraft gehabt, aufrecht im Sattel zu sitzen; er war immer wieder für kurze Augenblicke eingeschlafen, Jarne hatte ihn festhalten müssen. Im Griff dieses Mannes zu hängen, seinen Atem im Nacken zu spüren, seinen Unterleib, der sich an ihm rieb, wenn auch unabsichtlich, war schon unerträglich genug. Den ganzen Tag über hatte er sich vor den Qualen gefürchtet, die am Ende des Rittes auf ihn warten würden. Beros Grinsen und spöttische Anmerkungen während der kurzen Rast hatten alles nur noch verschlimmert. Was immer Jarne gesagt hatte, Bero würde sich nicht daran halten. Er war fast erleichtert, dass das Warten nun ein Ende fand.
Hoffentlich falle ich rasch in Ohnmacht , dachte er. Es kostete beinahe alles, was Rouven noch an Entschlossenheit besaß, nicht schon jetzt vollends zusammenzubrechen. Wie oft würde er das Martyrium ertragen müssen, bis man ihn endlich sterben ließ, sei es aus Erschöpfung, sei es beim Opferritual von der Hand des fremden Mannes, der durch ihn die Zukunft entschleiern wollte? Rouven blieb regungslos liegen und wartete. Jarne und Bero versorgten die Pferde, denen der Schaum vom Maul tropfte. Die Tiere standen mit zitternden Flanken da, fast zu sehr verausgabt, um am Fluss trinken zu können. Er hörte die beiden Oshanta diskutieren, verstand aber nicht, worum es ging; es war ihm auch völlig gleichgültig. Als er gepackt und grob herumgerissen wurde, erstarrte er vor Panik, sodass er noch nicht einmal aufschreien konnte.
„Nun wehr dich nicht so, hier ist Wasser für dich“, knurrte Jarne über ihm. Rouven bebte von Kopf bis Fuß, als er die Worte verstand und zulassen musste, dass der Oshanta ihn im Nacken packte und einen Becher Wasser an seine Lippen zwang. Mit weit aufgerissenen Augen blickte er Jarne an, beinahe wahnsinnig vor Angst. Warum nur ließen sie ihn so lange warten? Nach dem letzten Schluck ließ Jarne ihn los, ging ein paar Schritte zur Seite und entzündete in der Nähe ein Feuer, ohne ihn weiter zu beachten. Rouven wusste, dass Bero noch kommen würde, Bero, der sicherlich kein Wasser in ihn hineinzwingen wollte. Verängstigt starrte er in die Dunkelheit.
Wenn es wenigstens nur einer ist …
Jarne hörte die hektischen Atemzüge des jungen Mannes in seinem Rücken. Der Gefangene starb fast vor Angst, was verständlich aber lästig war – es zerrte an seinen Nerven, die sowieso
Weitere Kostenlose Bücher