Nayidenmond (German Edition)
bereits stark gespannt waren.
Bero erschien und schnappte sich sofort sein anvisiertes Opfer, auf das er sich schon den ganzen Tag gefreut hatte. Rouven schrie wie ein verletztes Tier, zappelte verzweifelt, ohne Hoffnung, entkommen zu können.
„Lass das!“, herrschte Jarne seinen Kampfgefährten an. Bero wandte sich langsam zu ihm um.
„Warum?“, fragte er. In seinen Augen glitzerte das Unheil, das er anrichten wollte, sollte Jarne ihm in die Quere kommen. Davon ließ er sich allerdings nicht weiter beeindrucken.
„Warum?“, wiederholte Bero noch lauter. „Der Kleine ist müde, sonst nichts. Ich will ihn nicht zu sehr fordern, keine Angst. Er wird es überleben.“
„Ich sagte, du sollst ihn lassen.“ Jarne zögerte kurz, aber er sah, dass Bero es auf einen Kampf ankommen lassen wollte, und das würde ihren Auftrag ein zweites Mal gefährden.
„Er gehört Iyen“, erwiderte er. Bero zog überrascht die Augenbrauen hoch.
„Iyen ist ein Verräter, und er wird ihn sowieso niemals wiedersehen. Oder vielleicht noch als Leiche, nachdem ihn unser Auftraggeber umgebracht hat.“
„Er gehört Iyen“, wiederholte Jarne betont. „Das schulde ich ihm.“ Er wusste, dass Bero wie Rouven ihn anstarrten. Da war ein Empfinden in ihm, das er nicht einzuordnen verstand –
Verlegenheit? Scham? Es zwang ihn, zu Boden zu blicken, um sich nicht zu verraten.
„Iyen hat mir mal das Leben gerettet“, murmelte er, während er kleine Zweige zerbrach, um das Feuer damit hochzufüttern. „Bei einem gemeinsamen Auftrag. Er hat diese Schuld nie eingefordert. Ich will es ihm nun auf diese Weise vergelten. Lass die Finger von dem Jungen, Bero!“
„Völlig sinnlos“, schnaubte Bero verächtlich. „In vier Tagen ist der Kleine tot.“
„Wir vielleicht auch“, erwiderte Jarne unbewegt. „Außerdem bin ich derjenige, der ihn vor sich im Sattel hat, es ist mir lieber, wenn er dabei aus eigener Kraft sitzen kann.“
„Wie du meinst“, knurrte Bero, schubste Rouven von sich und marschierte in Richtung Fluss davon. Seine Wut war ihm deutlich anzusehen, doch Jarne wusste, Bero würde sich an sein Wort halten. Nun war er mit dem Gefangenen allein. Eine Weile lang ignorierte er ihn, beschäftigte sich mit dem Feuer, teilte für jeden von ihnen eine Portion Essen ein. Erst als er damit fertig war, drehte er sich zu dem jungen Mann um und stellte sich seinem Blick.
„Hier, iss etwas.“ Er beugte sich über ihn, um seine Fesseln zu lösen. Der Prinz zuckte unter seiner Berührung zusammen, blieb aber sonst ruhig. Er wirkte regelrecht grau vor Erschöpfung. Immerhin war der gehetzte Ausdruck von seinem Gesicht verschwunden.
„Danke“, flüsterte Rouven.
Jarne wusste, dass dies für alles galt. Es irritierte ihn, mit Dankbarkeit bedacht zu werden, ein seltsam gutes Gefühl. Ob es das war, was Iyen verändert hatte? Irritiert über seine eigenen seltsamen Gedanken wandte er sich ab und aß rasch seinen mageren Anteil an Dörrobst, getrocknetem Fleisch und altbackenem Brot. Auch er war müde, wartete eigentlich nur noch, dass Bero fertig wurde. Sie hatten eben nach heftiger Diskussion beschlossen, ohne Wache zu schlafen. Iyen befand sich weit hinter ihnen, sollte er ihnen überhaupt folgen, vor Dieben und ähnlichem Volk brauchten sie sich nicht zu fürchten, Raubtiere würden vom Feuer abgeschreckt werden, und der Gedanke, ob der Gefangene versuchen könnte zu fliehen, war albern.
„Nun iss endlich!“, befahl er gereizt, als er sah, dass Rouven seine Schale noch nicht angerührt hatte. Der junge Mann, der mit leerem Blick auf dem Rücken liegend in den Himmel gestarrt hatte, setzte sich mühsam und mit schmerzverzerrtem Gesicht auf; seine Gelenke waren sichtlich steif von den langen Stunden in Fesseln.
„Es ist nicht vergiftet“, spottete Jarne. „Du brauchst es, morgen wird es genauso anstrengend wie heute.“ Er beobachtete aus den Augenwinkeln, wie sich Rouven bewegte, wie er aß, jede seiner Regungen. Warum nur sollte er etwas Besonderes sein? Bedeutsamer als seine Geschwister, wo er doch der Letzte war, der Aussicht auf Macht und Regentschaft besaß? Warum hatte man einen Auftrag auf ihn vergeben, und das gleich zweimal? Hatten Jugend und Schönheit allein gereicht, Iyen zum Verräter werden zu lassen? Jarne verdrängte die sinnlosen Fragen, die ihm niemand beantworten konnte.
„Hat er mit dir geschlafen?“, fragte er, um wenigstens einen Teil seiner Neugier zu befriedigen. Bero kam zu ihnen und legte
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