Nazigold
stand er als Krankenwagenfahrer nach
einem Feuer vor einer verbrannten Leiche. Ob Mann oder Frau war nicht mehr zu
sehen. Kurz nach seiner Rückkehr nach München ging er mit Luise in der Nähe
ihrer Unterkunft durch abgelegene niedergebrannte Schrebergärten. Von den
Gartenhütten waren nur noch ein paar schwarze Balken und hier und da noch
gemauerte Kamine zu sehen. Da standen sie mit einem Mal vor einer verbrannten
Leiche. Regen hatte die Reste des Körpers zu einer matschigen Masse
aufgeweicht.
Auch der verbrannte Leib, der nun vor ihm liegt, ist zu einer
kleinen schwarzen Gestalt geschrumpft. Er tritt näher heran. Die Lippen sind
weggeschmolzen, im weit geöffneten Mund tritt das Gebiss hervor. Es ist
Nafziger. Vor ihm liegt der verbrannte Nafziger. Er erkennt ihn deutlich an dem
Loch in seiner Stirn. Gropper wundert sich nicht, dass er verbrannt ist. Er
staunt darüber, wie klein er jetzt ist und was Feuer aus einem Körper machen
kann. Während er die Brandleiche näher betrachtet, verwandelt sich Nafzigers
Gesicht in das Gesicht von Lucretia. Ihre blondierte Mähne ist weggeschmolzen,
ihr Schädel glänzt schwarz, und ihre Gesichtshaut ist zusammengeschrumpft. Sie
sieht aus, als würde sie grinsen. Wieder verändert sich das Bild. Nun sieht ihn
Feigl an. Von seinem verkohlten Schädel sind noch deutlich sein breites Kinn
und seine Wangenknochen zu erkennen. Jetzt verwandelt sich sein Gesicht in das
von Kilian. Seinen hinterhältigen Blick konnte auch die Hitze des Feuers nicht
auslöschen.
Sirenengeheul reißt Gropper aus seinem Traum. Im ersten Moment weiß
er nicht, ob er die Sirenen geträumt hat oder ob sie tatsächlich durch den Ort
jaulen. Er benötigt ein paar Sekunden, um völlig wach zu werden. Jetzt hört er
sie ganz deutlich. Die Feuerwehr rast in seiner Nähe vorbei.
Automatisch will er nach seiner Taschenlampe auf dem Nachtkästchen
greifen, da wird ihm bewusst, dass er in Maiers Arbeitszimmer schläft und eine
funktionierende Lampe neben seiner Schlafcouch steht. Er schaut auf seinen
Wecker: drei Uhr fünfunddreißig.
Hastig schlüpft er in Hose, Hemd und Schuhe und eilt vor das Haus.
Am Eingang steht schon Maier im Morgenmantel über seinem Schlafanzug, die
nackten Füße stecken in Pantoffeln. Schlaftrunken und nur in einer weißen
Unterhose mit einer weiten Jacke über seinem nackten Oberkörper, tapst auch
Korbi heran und stößt kehlige Laute hervor: Feuer! Feuer!
»Wo brennt’s denn?«, fragt Gropper, immer noch verwirrt von seinem
Traum.
»Die Kirche ist es nicht«, sagt Maier. »Sonst würden die Glocken
Sturm läuten.« Er zeigt in Richtung Dekan-Karl-Platz, wo riesige schwarze und
weiße Rauchschwaden, vom hellen Mond beschienen, in den Nachthimmel aufsteigen.
Gropper will sich den Brand ansehen, und Korbi gibt zu verstehen:
Ich mit! Ich mit!
»Lauft nur zu. Ich hab schon so viele Brände gesehen.«
Als Gropper und Korbi über die Bahnhofstraße rennen und Korbi
aufgewühlt und schreiend von Erlebnissen berichtet, die Gropper nicht verstehen
kann, kommen immer mehr Neugierige aus ihren Häusern, rufen sich zu: »Brenna
tuat’s! Brenna tuat’s!«, und eilen ebenfalls zu der gewaltigen Rauchwolke. In
Mittenwald herrscht Aufregung.
Der Obermarkt ist schon voller voranstürmender Menschen. Männer,
Frauen und Alte, voller Angst, das Unglück könnte Freunde getroffen haben,
Kinder mit aufgerissenen Augen, die barfuß in ihren Nachthemden herumlaufen,
junge Burschen und Mädel, die nach einer nächtlichen Sensation gieren: Alle
wollen das Feuer sehen. Am Dekan-Karl-Platz steht die Menge so dicht gedrängt,
dass Gropper und Korbi kaum vorankommen. Endlich schaffen sie es bis zur
Brandstätte: Das »Crazy Horse« steht in Flammen! Groppers erster Gedanke:
Brandstiftung. Tatwaffe: Feuer. Das hat es in Mittenwald schon öfter gegeben,
dass Leute aus Rache ein Haus, einen Bauernhof oder auch nur einen Heustadl
eines Verhassten angezündet haben.
An der Ecke Innsbrucker und Adolf-Baader-Straße stehen die Wagen der
Freiwilligen Feuerwehr mit ihren vier Motorspritzen. Dazwischen liegt ein
Wirrwarr von oft undichten Schläuchen, aus denen das Wasser in hohen Fontänen
spritzt. Auch aus den alten Anschlüssen an den Hydranten strömt das Wasser. Auf
dem Pflaster um die Brandstätte steht es bald drei Zentimeter hoch. Die
Feuerwehrleute in ihren Helmen hasten hin und her, brüllen Kommandos. Alles
geht drunter und drüber. Die Motorspritzen pumpen Wasser in das Feuer, alles,
was die
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